Mo., 24.10.16 | 04:50 Uhr
Das Erste
Großbritannien: Eine Insel macht sich klein
"Meine Insel wird mir eng", sagt ARD-Korrespondentin Hanni Hüsch. Seit Jahren berichtet sie aus ihrem geliebten Großbritannien. Doch seit dem Brexit-Beschluss spürt sie fast täglich, dass die Insel sich verändert, ihr fremder wird. "Sie fühlt sich immer kleiner an, auch wenn sie jetzt wieder größer tönt".
Fremdenfeindliche Töne, schräge Ideen, Großmannsgerede, Abschottung gegenüber Europa. Fast schon verzweifelt wirkt da der Versuch des Londoner Oberbürgermeisters, sein eigenes Land an die Großzügigkeit und Weltoffenheit zu erinnern, die Great Britain einst groß gemacht haben.
Zurück zu den Ursprüngen
Inmitten seiner Antiquitäten fühlt sich Bernard am wohlsten. Auch wenn die Schätze eher wie Sperrmüll daherkommen – der Blick zurück wärmt seine Seele. Jetzt wo seine Partei, die UKIP, dem Land den Brexit beschert hat, hat er wieder mehr Zeit für das Geschäft mit der Vergangenheit – na ja und für King und Prince. Die französische Bulldogge mag nicht gern gehorchen, aber auf seinen Staffordshire Rüden ist Verlass. Was bewegt einen Mann, der sein Lebensziel erreicht hat, aber sein Land, freundlich formuliert, auf den Kopf stellt. "Wunderbar – es ist jetzt vorbei", meint Bernard Rayner, Vorsitzender von UKIP in Hastings. "Nichts für uns. Wünsch euch Glück. Wir sind draussen." Reicht es Euch denn, nur noch eine Insel zu sein? "Das waren wir doch für 1.000 Jahre. Es geht zurück zu unseren Ursprüngen, Handel mit der ganzen Welt. Wir haben unser Commonwealth."
Dem Besuch aus Deutschland mag sich Bernard nicht alleine aussetzen, Francis stösst dazu. jetzt müssen sie nur noch dafür sorgen, dass der Bruch auch allumfassend ist. Die Natur kommt zu Hilfe. "Jeden Tag danken wir Gott für den englischen Kanal", sagt Frances Day, Schatzmeisterin von UKIP in Hastings. "Er ist unser wertvollster Besitz. Er schützt uns. Eine natürliche Barriere. Gegen Invasion. Er hat uns immer geholfen."
Schräge Ideen
Barriere, Schutz gegen Fremde – was für Vokabeln . Meine Insel hat sich verändert. Sie ist mir fremder geworden. Sie fühlt sich kleiner an, auch wenn sie jetzt wieder grösser tönt. Es landen schräge Ideen an: die ausrangierte Royal Yacht Britannia wieder flott machen, Meere beherrschen als Handelsmacht, Großmannsgerede aus Tory-Mündern, der Kanal wird breiter, das Klima feindlicher – gegen Fremde.
Es ist lange her, dass die Insel das letzte Mal erobert wurde. 1066. Eine üble Keilerei. William der Normanne unterwirft die Angelsachsen. In diesen Tagen lassen sie in Hastings die Geschichte wiederauferstehen. In der Lesart manch eines geschichtsbeseelten Patrioten befreit sich das Vereinigte Königreich mit dem Brexit-Votum endlich von feindlichem Zugriff. Eigentlich sollten sie hier nur über Vergangenes sprechen, aber Brexit ist allgegenwärtig, spaltet ein Land, treibt Keile in Familien, die Gesellschaft.
Ressentiments und Gewalt nehmen zu
Und es gibt so viele Merkwürdigkeiten, die in einem weltoffenen und toleranten Land nicht nur mir fremd klingen. "Meine Frau ist Französin. Ihre Firma in London wurde aufgefordert alle ausländischen Mitarbeiter zu benennen. Das sind 98 Prozent. Es wird alles so ein bisschen verrückt hier. Seit sich das Land entschieden hat zu gehen." Dass die Regierung Kontrolle und Begrenzung von Zuwanderung zum Kampfthema macht, spüle Ausländerfeindliche Ressentiments an die Oberfläche, die Zahl der rassistisch motivierten Gewalttaten jedenfalls ist gestiegen. "Es ist nicht rassistisch wenn Du patriotisch bist und deine Kultur bewahren möchtest. Wir haben immer Zuwanderer akzeptiert, aber es sind zu viele." Zwischenfrage: Und stimmt es Sie nicht traurig , dass es jetzt mehr rassistisch motivierter Gewalttaten gibt? "Alles Quatsch, politische Mythen der Linken, die uns einreden wollen wir hätten ein Rassismus Problem." Haben wir", mischt sich jemand in unser Interview ein, "angestiegen um 76 Prozent, allein in London."
London, an einem Samstag, Afrika ist zu Gast auf dem Trafalgar Square. Es sind Tage, da muss man London lieben. So bunt, so fröhlich, so kreativ. Keine andere Stadt in Europa ist so, sooo cool. London lebt von den vielen Kulturen, den internationalen Talenten, von ausländischem Geld. Das weiß der Bürgermeister nur zu gut. Die Unermüdlichkeit, mit der sich Sadiq Khan in die Selfies schiebt überrascht mich. Er demonstriert Nähe , Emphase, Offenheit. Gegen die brandgefährliche "Brücken-Hoch"-Rhetorik der Konservativen. Ohne Zuwanderung wäre London ein trauriger Ort. Ein armer Ort. London ist offen – es berührt mich, dass ein Bürgermeister seine Botschaft fast flehentlich von jeder Bühne ruft. "In der Nach-Brexit-Zeit haben wir einen Anstieg an Hassverbrechen erlebt. Meine Botschaft an euch Londoner, die ihr aus der EU kommt, ist einfach: ihr seid hier willkommen."
"Wir fühlen uns hier nicht mehr willkommen"
Was immer sich der Herr Pastor dabei gedacht hat, zum Erntedankfest singen seine Schäfchen zur Europahymne. Zufall, göttliche Fügung? Egal. Es passt. Father Seamus Kirche in Hastings ist immer voll. Dank der Zuwanderer aus Italien, Korea, aber vor allem aus Polen. Paul kam vor 16 Jahren, baute eine Existenz auf, geschäftlich hat er Erfolg. Menschlich ist er tief enttäuscht, verunsichert, wie viele Landsleute. Verbale Attacken, Rempeleien, neulich haben sie einen erschlagen. "Britannien hat mir immer erlaubt, mich hier zuhause zu fühlen", meint Paul Glinka, polnischer Geschäftsmann in Hastings. "Jetzt würde ich eine solche Aussage nicht mehr machen." Warum? "Wegen der feindlichen Übergriffe gegen Europäer. Wir fühlen uns hier nicht mehr willkommen." Aber wer steht auf , predigt Vernunft und Augenmaß, gegen das zu viel an Ausgrenzung. Weltoffenheit – das ist doch Britanniens DNA. Immer gewesen. Und hoffentlich ja auch wieder, wenn das Schlachtgetöse verklingt und ein Kanal keine Barriere sondern eine Brücke ist.
Ein Film von Hanni Hüsch (ARD-Studio London).
Stand: 13.07.2019 02:01 Uhr
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