Mo., 24.10.16 | 04:50 Uhr
Das Erste
Irak: Inside Mossul
Mehr als eine Million Zivilisten in Mossul leben seit zwei Jahren in Todesangst. Der sogenannte Islamische Staat hat seine eigenen "Regeln"; wer sie übertritt, kann auf der Stelle hingerichtet werden – wegen einer Zigarette oder weil er mit dem Handy telefoniert hat. Trotzdem bleiben Mobiltelefone die einzige Verbindung in die Außenwelt, ins kurdische Dohuk zum Beispiel.
Hier leben Christen, die rechtzeitig fliehen konnten, und nun Angst um ihre zurückgebliebenen Angehörigen haben. Verlässliche Informationen aus Mossul sind sehr schwer zu bekommen. Aber einigen Studenten in Dohuk gelingt es dennoch, über Umwege aktuelle Bilder, Videos und Nachrichten aus der Stadt herauszuschmuggeln. Vorsichtig formiert sich in Mossul selbst Widerstand gegen den IS.
Alle religiösen Minderheiten sind bedroht
Irgendwo im Norden Iraks. Sie will ihr Gesicht nicht zeigen. Sie brächte damit ihre Tochter in große Gefahr. Die Tochter lebt in Mossul unter der Herrschaft des sogenannten Islamischen Staates. Ab und zu kann sie heimlich mit ihrer Mutter telefonieren. "Keiner weiß, dass meine Tochter Christin ist, wenn das bekannt wäre, würde sie getötet werden. Sie verschleiert sich wie die muslimischen Frauen. Wenn meine Tochter versuchen würde zu fliehen, würde sie entweder enthauptet oder gesteinigt werden, bis sie tot ist."
Das jüngste Propaganda Video vom IS, das vor fünf Tagen ins Netz gestellt wurde. Es soll Normalität in Mossul zeigen: glückliche Menschen, denen es an nichts fehlt. Tatsächlich mangelt es an Wasser, Lebensmitteln, Medikamenten und Strom. Das berichten Menschen aus Mossul ihren Verwandten in heimlichen Telefonaten. Vor wenigen Tagen hat der IS angeordnet, sämtliche Sim-Karten abzugeben. Die Dschihadisten verhängen immer drastischere Strafen. Alle religiösen Minderheiten sind bedroht, nicht nur die Christen, wie ihre Tochter. "Die Nachbarin meiner Tochter, eine Jesidin, eine ältere Dame, wollte nicht zum Islam konvertieren. Ihr wurde ein Finger abgehackt."
Nur wenige wollen zurück
Emanuel Youkhana leitet die christliche Hilfsorganisation Capni in Dohuk. Capni unterstützt Menschen, die vor dem Terror der Dschihadisten geflohen sind. Zurück in ein befreites Mossul wollen nur wenige. "Ich hoffe, dass die Christen in ihre Orte zurückkehren. Das ist immerhin ihre Heimat, dort sind ihre Wurzeln, sie schauen auf eine 2.000 Jährige Geschichte zurück. Aber wenn man realistisch ist, und wir haben eine Umfrage gemacht: eine Mehrheit, nämlich 75 Prozent der Christen und Jesiden die aus Mossul geflohen sind, zögern, in diese Stadt zurückzukehren."
Das ist fatal aber verständlich. Als die Dschihadisten in den Irak, in Mossul einfielen, haben viele Sunniten ihre christlichen und jesidischen Nachbarn im Stich gelassen. Die Terroristen stießen anfänglich sogar auf Akzeptanz. Doch das hat sich geändert. Dieser Blogger, dessen Bruder in Mossul lebt, möchte ebenfalls anonym bleiben. Über Telefonate und digitale Nachrichten berichten ihm Sunniten aus Mossul über ihre Haltung zum IS heute. "Einige leisten Widerstand, indem sie zum Beispiel das Internet nutzen, oder Facebook und über diese Medien uns aus Mossul berichten und erzählen, wie der IS die Menschen behandelt. Andere Jugendliche schreiben den ersten Buchstaben des Wortes Widerstand auf Mauern, das ist natürlich sehr gefährlich für die."
Der "Tugendterror" des IS
Die Menschen aus Mossul berichten dem Blogger, dass der IS Individualität nicht mehr zulässt und die Terroristen praktisch alles kontrollieren wollen. "Männer dürfen sich nicht rasieren, dann gibt es ständig Sperrstunden, Satelliten-Schüsseln sind jetzt auch verboten. Es gibt eine Strafe für Frauen, die sich nicht korrekt gekleidet haben. Diese Frauen werden von IS-Frauen in den Arm gebissen." Der Terrorist Al-Bagdadi gründete sein Kalifat 2014 in Mossul. Deswegen hat die Stadt für den IS eine sehr hohe symbolische Bedeutung. Doch die Begeisterung für al-Bagdadis "Tugendstaat" schwindet. Manche haben versucht zu fliehen und wurden getötet. Mit einer sich steigernden perversen Kreativität versuchen die Dschhadisten ihre Vorstellung einer perfekten Gesellschaft durchzusetzen.
Das hat ein Verwandter von ihr in Mossul erleben müssen. "Der Schwager meiner Tochter wurde verhaftet, weil er Zigaretten verkauft hat. Sie haben ihn zuerst in ein Loch gesteckt. 45 Tage lang! Dann haben sie ihn mit dem Stock geschlagen. 80 mal! Und dann haben sie ihm die Fingernägel rausgerissen und dann haben sie ihm auch noch zwei Zähne gezogen." Doch nun soll Mossul vom irakischen Militär und verbündeten Streitkräften von der Herrschaft des IS befreit werden. In geheimen Telefonaten erzählen Bürger aus Mossul, dass sie diesen Tag lieber heute als morgen erleben wollen. "Meine Tochter ist meine Liebe. ….. Ich will mit ihr sprechen ….Ich möchte sie sehen."
Ein Film von Alexander Stenzel (ARD Studio Kairo).
Stand: 13.07.2019 03:54 Uhr
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