Mo., 20.06.16 | 04:50 Uhr
Das Erste
Indonesien: Die Kinderjockeys
Ein Rennen so wild wie gefährlich. Sharul, neun Jahre alt, will unbedingt gewinnen. Er riskiert viel. Auf dem Rücken seines Pferdes. Er muss Geld verdienen. Für seine Familie. Eigentlich sieht's hier aus wie im Paradies: Der stolze Vater führt sein Pferd und seine beiden Söhne hinein in einen Traum von Meer. Spiegelglatt und glitzernd. Morgensonne, leichte Brise. Wer würde denken, dass am Abend viele der Kinder hier im Staub gelandet sind oder sogar im Krankenhaus. So wie Sharil, der seit seinem Reitunfall halbseitig gelähmt ist: "Ich freue mich, dass heute endlich das Rennen losgeht. Ich selbst kann zwar nicht mehr reiten. Aber ich sporne meinen Bruder an."
Sumba – alle sind verrückt nach Pferden
Sharul und Sharil sind Zwillinge. Beide neun Jahre alt. Aber schon ein halbes Leben lang reiten sie auf dem Rücken wildgewordener Pferde um die Wette. Die Brüder leben auf Sumba, einer Insel im Osten Indonesiens. Die Menschen hier sind seit jeher verrückt nach Pferden. Jede Familie hat eins, jedes Kind kann reiten. Immer im Frühsommer treffen sich die Pferde-Verrückten Indonesier zum Wettrennen. Die Familien der Jockeys haben rund um die Arena ihre Zelte aufgeschlagen. Auch die Zwillinge Sharul und Sharil. Viele der Jockeys hier im Zeltlager sind nicht älter als 12. Die jüngsten sind gerade vier. Denn je kleiner und leichter die Jockeys, umso schneller sind die Pferde im Ziel. "Klar, wir sind Freunde. Wir spielen zusammen. Aber beim Rennen sind wir Gegner. Jeder will der Erste sein. Und nach dem Rennen spielen wir wieder zusammen." meint Sharul.
Hohes Risiko, viel Geld
Pferderennen gibt es auf Sumba, so lange die Menschen hier denken können. Und heute ist es wieder soweit. Über 500 Pferde gehen an den Start. Von überall her. Sumba, Bali, Lombok, der ganzen Inselwelt Indonesiens. Aber es gibt auch eine dunkle Seite. Manche der jungen Jockeys brechen sich die Knochen. Zwei Kinder sollen schon gestorben sein, berichten Besucher. Die Rennen sind extrem gefährlich. "Ich bin damals einfach runtergefallen. Und die anderen Pferde sind über mich drüber. Ich weiß nur noch, ich war plötzlich im Krankenhaus. Mama und Papa haben geweint." erklärt Sharil seinen Unfall.
Warum all das Risiko für all die Kinder? Sumba ist eine der ärmsten Regionen Indonesiens. Viele hier sind einfache Bauern. Die Familien müssen ihre Kinder zu Jockeys machen. Um über die Runden zu kommen. 500 Euro kann ein Jockey wie Sharul pro Woche verdienen. Verlockend viel Geld. "Nein, ich hab keine Angst. Ich mache das doch jeden Tag. Egal, wenn das Pferd so drauf ist, oder so, Angst hab ich keine."
Die Kinder gehen fast ohne Schutz ins Rennen. Ein leichter Helm, eine Stoffmaske gegen Staub und Sonne. Eine Peitsche fürs Pferd. Die Jockeys reiten barfuß. Und ohne Sattel. Die Tradition will es so. Pance, der Vater der Zwillings-Jockeys, "Ich bin stolz, dass mein Sohn als Jockey arbeitet. Schade nur, das Sharil, mein anderer Junge, nicht mehr reiten kann. Das macht mich traurig."
Vom Nachbarschaftsspaß zum knallharten Geschäft
Sharul und die anderen warten auf das Startsignal. Die Kinder klammern sich so nah an die Körper der Pferde, dass sie den Herzschlag spüren und das Schnaufen der Tiere. Zwei verrückte Minuten dauert das Rennen – eine lange Runde durch den Staub. Früher waren die Pferderennen ein Spaß unter Nachbarn. Aber dann kam immer mehr Geld ins Spiel. Und die Pferde mussten immer schneller galoppieren. Ein knallhartes Geschäft, auf dem Rücken der Pferde und der Kinder. "Sharul ist einer der besten hier. Deswegen habe ich ihn als Reiter für mein Pferd gebucht. Ein guter Jockey macht Dich glücklich. Denn der wird immer gewinnen." erklärt Pferdebesitzer Sayid Abdullah seine Wahl.
Auf den Rängen stehen gebannt die Zocker, die Spieler, die Spekulanten. Staunend und fiebernd. Auch sie machen gutes Geld. Eigentlich ist das Wetten gar nicht erlaubt in Indonesien. Auch dass Kinder hier antreten ist gegen das Gesetz. Aber auf Sumba schlägt die Tradition das Gesetz. Mit 50 oder 60 Km/h geht's über die Piste. Sharul aber kommt diesmal nicht als Erster ins Ziel. "Ich bin happy. Aber es geht noch besser. Wir haben ja noch ein paar Rennen."
Ein guter Jockey reitet manchmal fünf Rennen am Tag. Zehn Tage am Stück, zwei Monate im Jahr. So lange dauert die Saison. Und so lange geht's auch nicht in die Schule. Manche Kinder können nicht richtig schreiben, rechnen oder lesen. Aber sie sind meisterhafte Reiter. "Zwei Jahre vielleicht noch. Dann bin ich zu alt für's Pferderennen. Wenn wir größer und schwerer werden, können wir nicht mehr mithalten. Das war's dann. Wir gehen dann wieder öfter zur Schule." erzählen Sharul und Sharil.
Auf Sumba wird es langsam Abend. Am Strand drehen die Pferde ihre Runden. Die kleinen Jockeys sind da schon unterwegs ins Bett. Ein bisschen Kind sein – für den Moment. Das nächste wilde Rennen kommt bestimmt.
Autor: Philipp Abresch/ARD Studio Singapur
Stand: 12.07.2019 02:47 Uhr
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