Mo., 20.06.16 | 04:50 Uhr
Das Erste
Pakistan: Als Tourist durch Karachi
Vielleicht etwas dick aufgetragen. Bunt, dass die Augen schmerzen. Die Busse sind der erste Hingucker bei der Stadtrundfahrt. Es soll ein schöner Tag werden. Klingt einfach. Ist es aber nicht. Die Tour führt durch einen Moloch. Durch Karachi. Die gefährlichste Stadt der Welt. Wie viele sagen.
Viele wollen Spaß trotz Gefahr
Das ist ihre Stadt. Saima Manzoor feiert heute Geburtstag und gönnt sich diesen Ausflug. "Ich möchte was entdecken. Etwas über die Geschichte meiner Stadt lernen. Mich amüsieren. Ich habe nie so eine Stadtrundfahrt gemacht. Mal sehen, was ich verpasst habe." Sie traute sich bisher nicht so recht raus. Wie die meisten hier.
Es gäbe sicherere Orte für eine Stadtrundfahrt. Taliban und Kriminelle tun, was sie wollen. Bomben explodieren. In Karachi werden jährlich Tausende ermordet. Viele auf der Straße erschossen. Weil sie zur falschen Zeit am falschen Ort sind. Also besser kein Risiko eingehen. Denken die meisten Menschen. Vor die Tür gehen kann lebensgefährlich sein. Auch eine Busfahrt erscheint verrückt. Trotzdem lockt es sie heraus. Bislang ging immer alles gut. "Manchmal fühle ich mich unsicher. Und Ja: Ich meide einige Plätze. Aber im Moment will ich einfach Spaß haben." erklärt Saima Manzoor.
Bus-Touristen sind nicht überall willkommen
Die meisten Gäste wuchsen wie Saima in Karachi auf. Es sind reiche Pakistaner, die sich die 20 Euro teuren Tickets leisten können. Ausländer trauen sich kaum her. Außer dort oben auf dem Dach. Da sitzt Gail Fulton aus Liverpool. Und genießt den kühlen Wind. Sie besucht ihren Sohn, der hier lebt. Ihr macht Karachi keine Angst. "Nein, ich habe kein Problem damit. Ich erlebe nur freundliche Menschen hier in Pakistan. Ich meine, wo ist es heute noch sicher? Ich kann heute in der U-Bahn in London sitzen und es passiert etwas. Wenn du sagst: Da kann ich nicht hin wegen der Sicherheit. Dann kannst du doch nirgendwo mehr hin."
Doch so entspannt ist es nicht immer. Willkommen sind die Bus-Touristen nicht überall. Frauen ohne Kopftuch. Leute, die Spaß haben. Das finden nicht alle gut. Fahrt zur Hölle ruft dieser Mann. "Ach, ein alter Mann. Was für ein Komiker. Solche Typen findest du überall in der Stadt. Am besten nicht ernst nehmen." meint Veranstalter Jehanzeb Salim.
Jehanzeb Salim führt die Gäste. Er ist 21 und wuchs in Karachi auf. Ein selbstbewusster Hipster, wie es ihn auch in anderen Großstädten gibt. Ein trotziger Junge. Der sagt, Karachi ist schön. Stimmt vielleicht auf den zweiten, dritten Blick. In der Altstadt blitzt der alte britische Charme auf. Kurz fühlt es sich wie Urlaub an. Und wenn die Füße langsam wehtun, wird gefrühstückt: In einem einfachen Restaurant.
"Wenn ich sehe, dass ich etwas ändern kann. Dass ich den Leuten eine andere Stadt zeige. Nicht, die, die sie an normalen Tagen sehen. Das motiviert mich." sagt Jehanzeb Salim. Viel haben sie gesehen. Viel gibt es zu besprechen. Und viel zu essen. Paratha-Brote – die besten der Stadt. Bislang war die Tour ein voller Erfolg. Gail Fulton erzählt, "Meine Augen wandern immer zum Müll auf den Straßen. Furchtbar. Aber davon abgesehen. Die Gebäude sind wunderschön. Du musst sie dir bewusst ansehen. Und das geht nicht, wenn du nur mit dem Auto vorbeifährst."
Die Stadt war einmal tolerant
Saima genießt ihren Geburtstag. Und das ungute Gefühl vom Morgen ist fast vergessen. "Ich fühle mich gar nicht mehr unsicher. Jetzt habe ich einfach Spaß." Ein Augenblick, der täuscht. Saima selbst hat zwei Familienmitglieder verloren. Einfach erschossen auf der Straße. Auch wenn sie im Moment nicht daran denken. Fast jeder hier kennt solche Geschichten.
Pakistan erlebt immer wieder Terror. Gerade erst gegen Christen. Auch in Karachi rechnen sie mit allem. Es ist lange her. Da war die Stadt einmal anders. Nicht grausam, sondern tolerant. Das andere ist nah. Und doch so fern. "Da sind diese kleinen Becken. Darin ist geweihtes Wasser. Damit bekreuzigst du dich. So geht das." sagt Jehanzeb Salim. "Jede Religion hat ihre eigene Kultur. Manche gehen in die Moschee. Andere in die Kirche oder den Tempel. Wir sollten mehr über die Religionen wissen. Darum geht es heute. Jeder Mensch betet, nur eben unterschiedlich. Ich habe echt viel gelernt."
Jetzt müssen sie das Erlebte festhalten. Das Gefühl mitnehmen. Für später. Für den Alltag. Denn: Nach fünf Stunden ist die Rundfahrt vorbei. Vorbei, der Urlaub in der eigenen Stadt.
Autor: Gábor Halász/ARD Studio Neu Delhi
Stand: 12.07.2019 02:47 Uhr
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