So., 26.05.24 | 18:30 Uhr
Das Erste
Indonesien: Ein Arzt kämpft gegen Plastikmüll
Seit Tagen plagen Ujang Kopfschmerzen. Er geht unsicher, ist fast taub, sein Nachbar muss ihn zum Arzt begleiten. Aber vorher müssen sie noch beim Recyclinghof vorbei. Plastikflaschen abgeben. Nur so kann er sich den Arztbesuch überhaupt leisten. "Mein armer Freund hat keine Krankenversicherung, es geht ihm nicht gut, aber medizinische Behandlung ist teuer. Ein Glück gibt es hier dieses kostenlose Programm von der Klinik, wenn du Plastik sammelst", erklärt sein Nachbar Agus.
Den Müll haben sie extra gesammelt. Für zehn Flaschen händigt ihnen der Wertstoffhändler einen Gutschein aus. Umgerechnet zehn Cent ist der Müll wert. Dafür gibt’s eine medizinische Behandlung. Hier – in der Harapan Sehat Klinik in der Kleinstadt Cianjur hatte er die Idee: Dr. Yusuf Nughraha. sein Wunsch und sein Ziel: Die Welt vom Plastikmüll befreien. Gesundheit und Umweltschutz. Das gehört für den 44-Jährigen zusammen. Er möchte vor allem die ärmeren Menschen in Cianjur erreichen. "Die Umweltschutzprogramme sind häufig zu abgehoben, das verstehen die viele Menschen nicht. Deshalb ist mir die Idee gekommen mit den Plastikflaschen als Zahlungsmittel. Zwei Fliegen mit einer Klappe: Zu mir trauen sich auch die Ärmeren, denen ich so helfen kann, und dann kommen wir auch ins Gespräch über Umweltschutz", erzählt der Arzt.
Wie Ujang kommen täglich 30-40 Patienten mit einem Gutschein in seine Klinik. Krankenversicherungen – zu teuer. Gemeinsam mit acht anderen Ärzten behandelt Dr. Yusuf sie hier gratis. Husten, Fieber, Verletzungen. Und auch die Medikamente – kostenlos. "Wir machen das mit einer Art Solidarsystem: Es gibt Patienten, die können mehr zahlen und bei denen passe ich den Preis für die Behandlung an. Das wissen sie auch, dass sie das Gratis-System mitfinanzieren. So machen wir das hier in der Klinik", erklärt Dr. Yusuf Nughraha.
Eine neue Generation für den Umweltschutz begeistern
In der Region fühlen sich viele alleingelassen mit dem ganzen Müll, vor allem seit die einzige Deponie dicht gemacht hat. Wegen Überfüllung. Seitdem landet der Abfall im Fluss. Oder verbrennt in den Vorgärten. Müllabfuhr: Fehlanzeige. Indonesien versinkt im Müll. Gerade gingen diese Bilder von der Insel Bali um die Welt. Kein Sand, nur Plastik, am Strand. Müll-Massen aus allen Kontinenten. Der Plastikdoktor – so nennen ihn hier viele – will nicht tatenlos zuschauen. Stattdessen die nächste Generation zu Umweltschützern machen. Einmal im Monat besucht Yusuf Nughraha eine Grundschule. Mülltrennung – kaum ein Kind in Indonesien hat davon schonmal gehört. Hier lernen sie, warum sie Tüten und Verpackungen nicht einfach in die Natur schmeißen sollen.
"Als ich selbst ein Kind war, hier in Cianjur, da gab es noch saubere Flüsse. Und heute sehe ich, dass wir im Müll versinken, und die Menschen Plastik sorglos in die Umwelt werfen. Ich komme auch deswegen hierher zu den Kindern, weil ich hoffe, dass sich das alles wieder zum Guten wenden kann", sagt der Arzt. Sein Optimismus verleiht ihm Energie. Bei den älteren Schülern spricht er über sauberes Trinkwasser. Auch das in Indonesien keine Selbstverständlichkeit. Darum kaufen so viele hier Plastikflaschen. Der Arzt erklärt ihnen, wie es besser gehen kann. "Wenn ich Wasser in Plastikflaschen kaufe, dann verbrauche ich sehr viele. Wenn ich aber meine Trinkflasche auffülle, mache ich weniger Müll", erklärt Schülerin Natascha und ein anderer Schüler sagt: "Dr. Yusuf inspiriert mich, dass ich die Umwelt schütze."
Nur etwa zehn Prozent des Plastikmülls in Indonesien werden recycelt, es gibt wenige Wertstoffhöfe. In Cianjur kommen an einem Tag manchmal 400 Flaschen allein von Patienten von Dr. Yusuf. Sie landen im Schredder, werden verkauft, und in neuer Form wiederverwendet. Warten auf Dr. Yusuf. Der Arzt kommt heute ins Haus des Dorfvorstehers. Kostenlos für alle, die Müll mitgebracht haben. Auch die 69-Jähre Eti will ihn sehen, ihre Muskeln schmerzen. "Als ich am Dienstag beim Beten in der Moschee war, hat mir unser Dorfchef gesagt, dass wir Flaschen sammeln sollen, weil der Doktor kommt und es heute hier eine Gratis-Vorsorge gibt", erzählt sie.
Mitten im Wohnzimmer: Er berät, verschreibt Medizin oder überweist die Patienten in seine Klinik. Auch Eti soll wiederkommen. Für zehn Plastikflaschen. Ein genauer Check-up in der Praxis. Der Arztbesuch hier ein Gruppenerlebnis. "Ich kann einfach nur hoffen, dass die Menschen achtsamer werden. Das ist mein Ziel. Dass die Menschen hier nach und nach verstehen, welche Probleme der Plastikmüll mit sich bringt", sagt Dr. Yusuf Nughraha. Harapan Sehat so hat er seine Klinik südlich von der Hauptstadt Jakarta genannt. Gesunde Hoffnung heisst das übersetzt – sein Antrieb im Einsatz für die Gesundheit und für die Umwelt.
Autorin: Christiane Justus / ARD Singapur
Stand: 26.05.2024 20:01 Uhr
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