So., 26.05.24 | 18:30 Uhr
Das Erste
Indien: Fußball für ein besseres Leben
Es ist heiß, es ist trocken, aber ihnen ist das egal. Fußballspielen ist ihre große Leidenschaft. Das Stammesdorf Bicharpur liegt in der Mitte des Kontinents, weit weg von den großen Städten und es hat sich zu einem Fussballmekka entwickelt. "Wenn ich aufwache, denke ich an Fußball, meine Freunde warten schon auf mich, damit wir spielen können. Erst üben wir Pässe und dann teilen wir uns auf und spielen ein Match", erzählt der 16-jährige Virendra Baiga.
Und das in einem Land, wo vor allem Cricket gespielt wird. Aber Virendra mit der Nummer 25 ist eines der jungen Fußballtalente aus Bicharpur. Seine Idole haben internationales Format. "Ronaldo, Messi, Mbappé", sagt er. Die jungen Spieler hoffen sich mit dem Ball aus ihren ärmlichen Verhältnissen befreien zu können. Ein kleines Wunder hat der Fußball hier schon bewirkt.
Eine neue Chance für das Dorf
Bicharpur war vor rund 20 Jahren berühmt und berüchtigt für den Alkohol, der hier von den Familien gebraut wurde. Und mittendrin die Kinder, die mit gebraut und mitgetrunken haben. "Damals hat das sogar die Regierung unterstützt. Es gab Extralizenzen für die Stammesangehörigen hier. Ich habe angefangen die Kinder zu trainieren, ihnen klar gemacht, dass sie nicht besser werden, wenn sie mit dem Alkohol weiter machen. Wir haben sie motiviert", erzählt Trainer Raees Khan.
Am Anfang waren es nur ein paar Kinder, aber es wurden immer mehr. Es gibt 14 Trainer, die auch in den umliegenden Dörfern Spieler trainieren. "Mini-Brazil" wird die Region inzwischen genannt. 45 Talente haben es bis in die nationale Liga geschafft. So viele, wie aus keiner anderen Gegend in Indien. Das hat auch Sponsoren überzeugt. Am Anfang hat Trainer Raees Khan mit der Hälfte seines Gehalts die Kinder unterstützt: "Jetzt gibt es hier richtige Häuser, früher waren das Slums, alle waren sehr arm, es gab kaum Fußballschuhe oder T-Shirts. Die Kinder haben sich das gegenseitig ausgeliehen. Wir hatten wenig Ressourcen, aber wir haben immer das Talent gesehen."
So wie bei Virendra und seinen Freunden. Kapitän des Nationalteams, das ist ihr großer Traum. Dafür trainieren sie zweimal am Tag. Vor und nach der Schule. Am Wochenende erledigt der 16-jährige Virendra zwischendrin die Hausaufgaben. Seine Eltern sind froh, dass sich die Verhältnisse hier so grundlegend verbessert haben. "Früher wurde hier viel Alkohol produziert. Jetzt gibt es normale Arbeit und wir schicken die Kinder in die Schule. Ich möchte, dass sie lernen und daran wachsen", sagt seine Mutter Sunita Baiga.
Gleiche Möglichkeiten für alle Kinder?
Die Alkoholproduktion ist für die Kinder im Dorf Geschichte. "Früher, da haben so Opa-Typen Alkohol getrunken. Die sind nicht mehr da und ihre Kinder haben angefangen Fußball zu spielen. Dadurch wurden sie vom Alkohol abgelenkt. Jetzt gehen alle nur noch Fußball spielen", erzählt Virendra Baiga.
Auch die Mädchen im Dorf. Sie sind genauso fußballverrückt wie die Jungs. Und dabei ganz selbstbewusst, wie die 16-jährige Sapna: "Wir sind nicht schlechter als die Jungs. Das hängt nur von unserem Training ab. Trainieren wir mehr, sind wir besser, trainieren wir weniger, sind wir schwächer. Du musst entscheiden, ob du vorne oder hinten liegen willst." Aber einen großen Unterschied zwischen den Fußballern und Fußballerinnen im ländlichen Indien gibt es und der ist viel schwerer zu überwinden. "Wenn wir richtig gut werden und unsere Eltern uns dann verheiraten, dann zerstört das unseren Traum. Ich will hart trainieren und daraus eine Karriere machen, anstatt zu heiraten. Aber meine Mutter sagt, heiraten ist wichtig. Ich sage, mein Sport ist wichtig, aber wenn sie mich dazu zwingt, muss ich es tun", erzählt sie.
Die Befreiung vom Alkohol ist in Mini-Brazil gelungen, die Befreiung von traditionellen Geschlechterrollen braucht mehr Zeit.
Autor: Andreas Franz / ARD Neu Delhi
Stand: 26.05.2024 20:00 Uhr
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