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China: GenZ – aus der Traum?

China: GenZ – aus der Traum? | Bild: WDR

Shanghai, Chinas Glitzercity. Sinnbild des Aufstiegs der letzten Jahrzehnte. die verlockende Zukunft für junge Menschen. Immer noch ziemlich cool.  Während wir an DEM Selfie-Spot schlechthin drehen, spricht mich ein junges, chinesisches Paar an. Sie machen Fotos von Touris, um hier Geld zu verdienen. Und sie sprechen deutsch, haben in Europa gelebt. "Also ich habe letztes Jahr in England studiert und mein Hauptfach ist Master in Marketing", sagt die Passantin. "Du hast dir ja wahrscheinlich auch gedacht, wenn ich mit meinem Marketing-Studium nach China zurückkomme, dann wird es ja wohl Jobs geben", erkundigt sich ARD-Korrespondentin Marie von Mallinckrodt. "Ich habe gedacht, es wäre ganz viele Job in China, aber nee, die Situation ist nicht so." "Wie lange sucht ihr jetzt schon?" "Ein halbes Jahr schon", sagt ihr Partner und sie sagt: "Also ich finde, ein Jahr schon."

Verunsicherung unter jungen Arbeitssuchenden

Millionen Menschen haben es in den vergangenen Jahrzehnten hier aus der Armut in die Mittelschicht geschafft. Das ist eine gewaltige Leistung. Die Eltern haben den Aufstieg erlebt, heute müssen sie oft für ihre schon erwachsenen Kinder sorgen, denn die kämpfen auf dem Arbeitsmarkt um wenige gute Stellen. Es gibt doppelt so viele Uni-Absolventen wie vor zehn Jahren. Und das bei schwächelnder Wirtschaft. 

Chuanyi ist 26. Wir begleiten ihn zu einem Vorstellungsgespräch. Seit Monaten sucht er nach einem Job, wir kennen ihn schon seit Juli letzten Jahres. "Der Arbeitsmarkt ist wirklich tough in Peking, ich bin bisschen nervös", erzählt er. Der Druck für ihn ist groß, die Erwartungen seiner Eltern, die eigenen Ansprüche. Hier wird er heute interviewt. Nicht für einen Finanzjob, sondern für einen Job als Fahrer. Nach anderthalb Stunden. "Hello, hello", sagt Chuanyi. "Na, wie lief es?" "Ich bin sehr zufrieden, ich hatte ein gutes Gespräch mit der Personalabteilung."

Ob er den Job wirklich kriegt? Auch diese junge Menschen, die Sonntagmorgen um 8 Uhr Schlange stehen, suchen nach einem Job. Bewerber und Bewerberinnen für eine Stelle beim Staat. Ich kann nur mit Handy drehen, ich will nicht, dass die Aufpasser am Ende der Schlange uns verscheuchen. Beinahe neun Millionen bewerben sich im ganzen Land als Polizistin, Parteifunktionär oder Richterin. Wir reden mit einer, die bald ihren Uni-Abschluss macht. "Ich habe das Gefühl, dass alles sehr unsicher ist zurzeit, und jeder möchte ein bisschen Sicherheit finden", erzählt die Absolventin.

Ein andauernder Kampf um Stabilität

China: Chinas Millionen-Städte strahlen – keine Jobs für GenZ.
China: Chinas Millionen-Städte strahlen – keine Jobs für GenZ. | Bild: WDR

Noch nie gab es so viele Bewerbungen wie dieses Jahr. Der Staat wird vor allem von ihm bestimmt. Staats- und Parteichef Xi’s Botschaft an die Gen Z: Esst Bitterkeit will heißen schraubt eure Ansprüche runter. Im Netz wird geworben für Programme auf dem Land. Arbeit in der Landwirtschaft etwa. Wohnen im Dorf. Dort, wo die meisten wegwollten. So wie Chuanyi, der vom Dorf kommt. Mittlerweile hat er einen Job als Fahrer. Hier holt er jeden Morgen seine Chefin ab und bringt sie in ein Teehaus. Wir lernen sie nicht kennen, aber ihren Hund Dodo mit dem Chuanyi im Innenhof Gassi geht, das gehört auch zu seinen Aufgaben Sie wohnt hier mit Sohn und Hund auf 270 qm, mitten im Zentrum.   

"Denkst du dir manchmal, du hättest auch gern so ein Leben wie deine Chefin?" "Ich will kein luxuriöses Leben. Nur eine schöne und komfortable Wohnung, ich weiß nicht, wann ich dieses Ziel verwirklichen kann, unmöglich im Alter von dreißig, vielleicht wenn ich vierzig bin", antwortet Chuanyi. Chuanyi ist schon mehr ihr persönlicher Butler. In diesem Cafe harrt Chuanyi aus. Wartet auf die nächste Ansage seiner Chefin. Seine einzige Nachrichtenquelle: Douyin, das chinesische Tiktok. Unterhaltung und Videospiele. "Für persönliche Entwicklung gibt es fast keinen Raum. Zukunftsplanung gibt es für mich gerade nicht", erklärt er.

600 Kilometer von Beijing entfernt, auf dem platten Land, ist Chuanyis Heimatdorf. Hier gibt es nichts außer ein bisschen Landwirtschaft. ein typisches, chinesisches Dorf, viele müssen weit entfernt in Großstädten arbeiten zu Niedriglöhnen. Wir besuchen gemeinsam mit Chuanyi seine Familie. "Meine Mutter, ist sie das?", sagt Chuanyi. Chuanyi war zwei Jahre lang nicht mehr hier. Sieht so aus wie sie: "Mutter? Hier, das ist mein Freund. Das ist meine Mutter."

Sich nicht zu überschwänglich zu begrüßen, sagt in China noch nichts darüber, wie sehr man sich mag. Aber dies hier ist doch eher sehr kühl. Am Hauseingang, Großmutter und Nachbarinnen. Mutter und Sohn reden kaum miteinander. Uns zeigt sie Fotos von Chuanyi. Ihn auf das Internat zu schicken, war für sie alternativlos, sagt sie: "Es war ein bisschen schwierig. Damals wurde in der ländlichen Gegend kein Englisch unterrichtet. Ich zögerte, aber um seiner akademischen Leistung willen, musste ich ihn auf das Internat schicken."

Die Erwartungen der Eltern spielen in China eine riesige Rolle. Wieder in Beijing. Chuanyi hat seinen Fahrer-Job verloren. Er wurde nicht mehr gebraucht. "Der Arme macht eine solche Tortur mit." Und trotzdem ist er nicht sauer auf die äußeren Umstände. Obwohl es ihm wirklich schlecht geht: "Es sind unerträgliche emotionale Qualen. Alles, was in der Welt passiert, ist vorherbestimmt. Man sollte es als etwas akzeptieren, das man schlicht ertragen muss."

Chuanyi würde nicht im Traum auf die Idee kommen, das System zu hinterfragen. Abgesehen davon, dass er das gar nicht darf. 

Autorin: Marie von Mallinckrodt / ARD Peking

Stand: 26.05.2024 20:00 Uhr

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Westdeutscher Rundfunk
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