Mo., 11.04.16 | 04:50 Uhr
Das Erste
Indonesien: Die Insel-Hebamme von Pramuka
Wo Kinder lachen, ist Siti Sumiyati meistens nicht weit weg. Hier auf Pulau Pramuka kennt sie fast jeden, ziemlich gut sogar, seit dem ersten Atemzug. Siti ist seit Jahrzehnten Insel-Hebamme. Ihre Aufgabe in der abgeschiedenen Inselwelt: Kindern auf die Welt zu helfen. Und zwar gesund.
Siti Sumiyati sieht sich um: "Die Kinder hier? Denen habe ich allen auf die Welt geholfen. Ich war ja bis vor kurzem die einzige Hebamme hier. Alle sind gesund und gut gelungen. Ich bin zufrieden."
Seit bald einem halben Jahrhundert arbeitet Siti, wo andere vielleicht Urlaub machen. Ihr Kreissaal liegt irgendwo im Ozean, auf einer Inselgruppe, zwei Stunden nördlich von Jakarta. Etwa 20.000 Menschen leben auf Pramuka und den Inseln drumherum.
Klare Rollenverteilung
Seit Jahrhunderten sind die Rollen hier an den Ufern des Pazifischen Ozeans klar verteilt: Viele Männer sind Fischer und oft draußen auf dem Meer. In allen Alltagsdingen also müssen die Frauen ihren Mann stehen, erst recht bei der Geburt. Sie gebären alleine, nur mithilfe der Hebamme.
Siti Sumiyati: "Ich fahre jetzt rüber ins Inselhospital. Ich will den Hebammen über die Schulter gucken. Wir haben drüben elf schwangere Frauen und wollen sehen, wie es denen geht."
Seit vielen Jahren ist Siti Sumiyanti Witwe. Ihre eigenen Kinder leben auf dem Festland. So ist die Arbeit als Hebamme, zu ihrem Lebenssinn geworden.
Verbesserungen im Gesundheitssystem
Kinderkriegen im Inselreich Indonesien ist noch immer mit besonderen Risiken verbunden. Es fehlt oft sauberes Wasser, gesundes Essen. Die Wege sind weit und schlecht. Bei Notfällen sind die Babys oft verloren. Aber manches in Indonesien hat sich auch gebessert: Seit paar Jahren gibt es ein eigenes kleines Hospital. Schwangere Frauen müssen jetzt rechtzeitig hierhin verlegt werden. So wollen die Behörden die Kindersterblichkeit verringern.
Im Krankenhaus warten schon die Schwangeren auf Siti. Sie ist auch ein bisschen stolz, dass sie seit so vielen Jahren all den Frauen helfen kann: "Ich arbeite hier seit 1971. Jedes Jahr habe ich ungefähr 90 Babys. Jetzt sind das 45 Jahre. Also 90 mal 45. So viele Kinder habe ich mit zur Welt gebracht."
Mehr als 4000 Kinder hat Siti Sumiyati auf die Welt geholt. Das größte Problem für die Insel-Hebamme sind die Gewalten der Natur. Bei Ebbe und Flut, bei Sturm und Gewitter oder mitten in der Nacht ist sie unterwegs zu den werdenden Müttern. Einmal waren die Wellen so hoch, da hat die Mutter ihr Kind mitten auf dem Ozean bekommen.
Siti Sumiyati erinnert sich: "Ein anderes Mal hat mich eine Familie zu sich gerufen, da war’s mitten in der Nacht. Es war stockdunkel. Der Sturm war so stark. Das Schiff wäre fast gesunken. Als ich endlich da war, war ich klitschnass."
Notfall Geburt
Siti ist ins Krankenhaus gerufen worden. Ein Notfall: die Wehen haben schon eingesetzt. Die Schwangere betet, dass die Geburt nicht zu wehtun möge. Das Inselhospital ist karg eingerichtet, aber halbwegs gut ausgestattet. Es gibt Medikamente, Herzschreiber, Ultraschall.
Siti Sumiyati kontrolliert die Geburt: "Der Herzschlag des Kindes ist gut." Aber auch hier im Krankenhaus kämpft die Hebamme bei jeder Geburt mit Risiken. Es fehlt an gut ausgebildeten Ärzten die eingreifen könnten bei Komplikationen. Wer will schon auf den entlegenen Inseln arbeiten?
Nach einer halben Stunde: Babyschreien. Erleichterung. Das Kind ist auf der Welt. Und auch der Mutter geht es gut und sagt: "Der Vater weiß noch gar nicht, dass das Baby da ist. Der ist heute früh aufs Meer gefahren zum Fischen. Die Geburt hat wehgetan. Aber ich bin überglücklich."
Der Vater hat die Geburt verpasst. Aber die Schwester ist da, die Nichte, auch der Großvater. Er spricht ein Gebet für das Kind. Fast vier Kilo, ein Junge, so wie gewünscht bei den Familien der Fischer.
Hochzeit im Dorf
Am Nachmittag hat sich das ganze Dorf versammelt: Zwei junge Leute geben sich heute das Ja-Wort. Pulau Panggan feiert Hochzeit – ein rauschendes Fest. Die Braut ist der Hebamme längst bekannt. Vor über 20 Jahren hat Siti auch dieser jungen Frau zum ersten Atemzug verholfen: "Die Braut hat acht Geschwister. Und bei allen war ich die Hebamme. Ich freue mich, dass sie jetzt heiratet."
Die Braut hält auf eine große Familie: "Mein Mann hat nur einen einzigen Bruder. Eine große Familie zu haben, ist viel schöner. Also: wir wollen viele Kinder."
Inmitten der kopfbetuchten Hochzeitsgesellschaft tanzt sich jetzt die Musikband warm. Die Dangdut-Tänzer sind eine indonesische Hochzeitstradition. Der Tanz soll die Sinne anregen, und die Fruchtbarkeit fördern. Ganz im Sinne von Siti Sumiyati: Die Arbeit hier auf den Tausend Inseln geht der Hebamme wohl so schnell nicht aus.
Autor: Philipp Abresch / ARD Singapur
Stand: 11.07.2019 13:44 Uhr
Kommentare