Mo., 11.04.16 | 04:50 Uhr
Das Erste
Ägypten: Jasmin-Ernte im Mondschein
Wenn die Sonne untergeht über dem Nildelta, öffnen sich Millionen und Abermillionen Blüten und verströmen ihren süßlichen, nasenbetäubenden Wohlgeruch. Jasmin – König der Düfte…
Weil nicht Bienen, sondern nachtaktive Motten die Blüten bestäuben, findet auch die Ernte nachts statt: von zwei Uhr bis kurz nach Sonnenaufgang. Ein Knochenjob. Jasminpflückerin Hala Ahmed Omar: "Wir pflücken die Blüten jedes Jahr, immer sechs Monate lang, an sieben Tagen die Woche, eine ganze Saison hindurch."
Duft im Nildelta
Das ägyptische Nildelta – eine ganze Region duftet. Die etwa zehn Jasminplantagen bieten Tausenden von Pflückern und Pflückerinnen zur Erntezeit einen Arbeitsplatz. Je geschickter und konzentrierter man ist, desto mehr Blüten kann man morgens auf die Waage bringen – fünf Kilo pro Nachtschicht sind keine Ausnahme. Nach der Ernte muss alles schnell gehen auf den Fahkry-Farmen nahe der Stadt Tanta: wenn die Blüten nicht sofort weiterverarbeitet werden, verfliegt ihr kostbares Aroma.
Halb Zehn in Ägypten: die anstrengende Arbeit der Pflückerinnen ist jetzt getan. In kleinen Grüppchen gehen sie nach Hause – durch eine der fruchtbarsten Landstriche im Nahen Osten. Überall in der Gegend gibt es kleine Sammelstellen, an denen Zwischenhändler den Jasmin aufkaufen und dann in den Duftfabriken abliefern. Ein halbes Jahr lang dreht sich alles um die Blütenernte. Rechnet man alle Pflücker und deren Familien ein, die auf den Jasminfarmen im Nildelta arbeiten, leben rund 50.000 Menschen vom Jasmin.
Hala, ihre Tochter und ihr Ehemann verdienen jeweils umgerechnet knapp 300 Euro im Monat, mehr als ein Lehrer. Auch wenn sie außerhalb der sechsmonatigen Erntezeit nach einer anderen Beschäftigung suchen müssen, für ein halbes Jahr ist der Job sicher. In den wirtschaftlich schwierigen Zeiten, die Ägypten durchmacht, ist das ein Segen.
Gemeinschaft zwischen Produzenten und Pflückern
Hala Ahmed Omar hat ein gespaltenes Verhältnis zum Jasmin: "Früher habe ich den Jasmin auf den Feldern sehr gerne gerochen. Aber jetzt, wo ich weiß, wie anstrengend der Job ist, kann ich ihn nicht mehr riechen."
Hussein und seine Frau Cherifa: mittlerweile produzieren die beiden 80 verschiedene Pflanzenessenzen. Von A wie Amber bis Z wie Zitronenbasilikum Die Beiden verzichten auf jegliche Chemie und verkaufen ihre Spitzenaromen auch an die weltweit bekanntesten und anspruchsvollsten Parfumhäuser – ein Geschäft, das den richtigen Riecher erfordert. Die Fakhrys kümmern sich um ihre Leute: in einer kleinen Schule bekommen die Kinder der Pflücker kostenlosen Unterricht; denn das Niveau der staatlichen Schulen, sagt Cherifa, ist unterirdisch.
Keine Pflanze ist so empfindlich wie der Jasmin. Nach dem Wiegen müssen die winzigen Blüten sofort verarbeitet werden: ihr Duft wird in riesigen Stahlfässern in Hexan gebunden, einem kalten Lösungsmittel. Nachdem dieses verdampft ist und die Schwebstoffe aus der verbleibenden Flüssigkeit entfernt wurden, bleibt das "Concrete" übrig, eine harte, gelbliche, wachshaltige Masse.
Kostbares Gut
Jasminproduzent Hussein Fakhry beschreibt den Arbeitsvorgang: "Dieses Wachs fülle ich hier hinein. Dann verdunstet das restliche Ethanol, das ich sammele, um es wieder zu verwenden; und was dann am Boden zurückbleibt, das ist das Endprodukt: Jasmin Absolut. Der Behälter fasst fünf Kilo, das Konzentrat von 3,3 bis 3,5 Tonnen Jasminblüten!"
Marktwert dieser fünf Kilo Jasmin Absolut: rund 22.000 Euro. Husseins Vater hatte mit dem Jasminanbau begonnen. Doch die Tradition der Duftmanufaktur am Nil ist sehr viel älter…
Hussein Fakhry über die Kulturgeschichte: "Unsere Arbeit ist außergewöhnlich; sie ist verbunden mit den Wurzeln des antiken Ägypten – sowohl von der Art der Tätigkeit als Bauern als auch von unseren Produkten her: unsere Aromen haben einen direkten Bezug zu Kosmetik, zu Ölen, zu allem Schönen. All das reicht zurück bis zum Reich der Pharaonen und wir tragen es weiter mit dem, was wir tun."
Bald beginnt die nächste Nachtschicht: Grammweise, kiloweise, tonnenweise sammeln die Arbeiter die Blüten und filtern das Herz des Jasmins. Viel Schweiß für einen Hauch von teurem Duft.
Autor: Thomas Aders / ARD Kairo
Stand: 11.07.2019 13:44 Uhr
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