So., 03.11.19 | 19:20 Uhr
Das Erste
Irak: Folgen von Misswirtschaft
Sie haben Glück, Ayoub und Nabba. Die Schule ist nur fünf Minuten von zu Hause entfernt. Andere sind eine Stunde und länger unterwegs. Einen öffentlichen Nahverkehr gibt es hier nicht. Der ländliche Süden ist für die irakische Regierung ein blinder Fleck. Kein Geld für Kinder – kein Geld für Bildung. Deshalb haben die Eltern diese Schule selbst gebaut. Aus Lehm und Stroh, den günstigsten Baustoffen.
Im Sommer zu heiß und im Winter zu kalt und nass
Schuldirektor Ma’amoun kämpft bei der Regierung seit vielen Jahren um Gelder für einen Neubau, für Schulmöbel, Lehrmaterial. Vergeblich. So muss Ayoub weiterhin hinter dünnen Lehmmauern lernen. Im Sommer zu heiß und im Winter, wenn es regnet, zu kalt und nass. "Der Boden wird so schlammig, dass wir nicht laufen können. Dann der starke Wind und das Dach ist undicht, Wasser kommt rein. Die Lehrer leiden natürlich auch", so Ayoub, Schüler.
Kein Strom, keine Lampen – deshalb bleibt die Tür neben der Tafel immer offen. Kein Strom – keine Pausenklingel. Schuldirektor Ma’amoun ist frustriert, dass es ihm nicht gelingt, seine Schüler aus der Steinzeit, wie er meint, zu befreien.
"Vor fünf Jahren wurde ein Stromprojekt gestartet, aber es wurde unterbrochen. Bis heute, es nichts passiert. Wir haben dann die Behörden um finanzielle Hilfe gebeten, aber es ist nichts passiert", erklärt Ma‘amoun Jaber Taher, Schuldirektor.
Viel Korruption bedeutet für sie wenig Bildung
Die einzige Stromleitung weit und breit hat sich ein wohlhabender Bauer teuer gekauft und zu seinem Hof legen lassen. Irak leidet notorisch unter Strommangel, was aber nicht sein müsste. Denn das Land ist reich an Öl, vier Millionen Barrel pro Tag spuckt die Erde aus. Das spült rund zweihundert Millionen Euro in die Staatskasse. Pro Tag! Viel Geld, das investiert werden könnte, sagt Ingenieur Hossam. Auch für Ersatzteile, damit das Kraftwerk Nasreya wieder läuft. Derzeit bringt das Kraftwerk nur 30 Prozent seiner Leistung.
"Das Material könnte gekauft werden, aber wegen der wirtschaftlichen Krise im Irak, ist das schwer. Das Material, das wir brauchen, ist die Seele dieser Station", so Hossam, Ingenieur.
Die ökonomische Krise ist hausgemacht. Die exorbitant hohen Einnahmen vom Öl versickern durch Korruption, zum Leidwesen von Ayoub und anderen Schulkindern. Viel Korruption bedeutet für sie wenig Bildung. Der zwölfjährige Ayoub weiß, dass der Ölreichtum, richtig investiert, viele Probleme des Landes lösen könnte.
"Wir müssen unsere natürliche Umwelt schützen, das Wasser, damit es nicht verseucht wird. Mit dem Öl könnten wir das alles tun", sagt Ayoub.
Für die Regierung hat dieses Projekt keine Priorität
Die Familie hat, wie so viele andere, keinen Wasseranschluss. Aber selbst wenn: Es würde nichts bringen, das Land hat zu wenig Kläranlagen. Die nächst größere wird in Nasreya gebaut. Hier schaut sich Bürgermeister Ali Hussein die Baustelle an. Die Kläranlage könnte, einmal fertig, 350.000 Menschen mit Wasser versorgen, also zum Beispiel auch Ayoubs Familie. Doch die hohen Öl-Einnahmen des Staates tröpfeln nur in das Projekt.
"Ganz ehrlich, wir arbeiten an diesem Projekt seit zwölf Jahren. Eigentlich sollte das nach drei Jahren fertig sein, aber es gab Verzögerungen. Der Firma ist der Auftrag weggenommen worden. Es werden einem immer Hürden in den Weg gelegt. Wir haben dann eine andere Firma beauftragt. Aber sie kommt auch nicht richtig voran, weil immer wieder Geld fehlt", erklärt Ali Hussein, Bürgermeister Nasiriyah.
Für die Regierung hat dieses Projekt keine Priorität. So auch bei den Schulen. 2011 wurde mit diesem Bau begonnen. Seit 2012: Stillstand. Damals war der Ölpreis auf einem historischen Hoch. Genug Geld, um Schulen zu bauen, doch das passierte nicht.
Deshalb bauen engagierte Eltern Schulen aus Lehm. Ca. 1.000 sind so entstanden. Lehm ist ein traditioneller Baustoff im Süden Iraks, an dem allerdings schnell der Zahn der Zeit nagt. Ayoub kennt nichts anderes als seine kleine Lehmschule. Er vermutet, dass sie wahrscheinlich nie einen Strom- oder Wasseranschluss bekommen wird. Trotzdem.
"Diese Schule ist sehr fein, alle meine Freunde sind hier und die Lehrer, die haben es drauf, vor allem Herr Schlon und Herr Auwad. Wir haben lauter gute Lehrer, die mit uns gut umgehen", erklärt Ayoub.
Nicht nur Ayoub liebt seine Lehmschule, auch die anderen Kinder. Immer nach Pausenende stürmen sie zurück in ihre Klassenzimmer, um weiter zu lernen.
Autor: Alexander Stenzel / ARD Studio Kairo
Stand: 03.11.2019 20:12 Uhr
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