So., 21.06.20 | 19:20 Uhr
Irak: Ein Neuanfang nach der Trauer
An diesem Strand endete die tragische Flucht der Familie Kurdi, nahe des türkischen Dorfes Akyarlar.
Trauriges Zeugnis und Symbol
Mit einem Schlauchboot wollen Mutter, Vater und die beiden Kinder die griechische Insel Kos ansteuern. Doch das Boot kentert. Der kleine Alan, sein Bruder Galib und Mutter Rehanna ertrinken. Nur der Vater, Abdullah Kurdi, überlebt.
"Das Boot ist gekentert, weil sich die Leute hingestellt haben. Ich habe die Hand meiner Frau gehalten. Wir hatten Schwimmwesten, wir haben versucht, unsere Kinder über Wasser zu halten, haben es aber nicht geschafft. Erst ist Galib gestorben, dann Alan. Und ich werde nie Galibs Worte vergessen, wie er zu mir sagte: ‚Papa, hab keine Angst‘," erzählt Abdullah Kurdi, Vater von Alan.
Das Foto des toten jungen Alan wird weltweit veröffentlicht. Trauriges Zeugnis und Symbol. Die Not und das Schicksal von Flüchtlingen haben nun ein Gesicht — einen toten Körper. Vier Jahre später suchen wir den Kontakt zum Vater. Im Laufe unserer Recherchen treffen wir zuerst auf Alans Tante Tima Kurdi. Sie lebt seit über 20 Jahren in Kanada. An den Anruf ihres Bruders damals erinnert sie sich genau.
"Der erste Satz, den ich sagte, war: Das war meine Schuld...Ich muss jetzt eine Pause machen", so Tima Kurdi, Tante von Alan.
Das Foto hat viele Herzen berührt
Tima Kurdi hatte der Familie das Geld für die Schlepper geschickt. "Ich sagte, das ist meine Schuld und er sagt: Nein, du bist die beste Schwester der Welt. Du wolltest uns helfen. Davor sind viele tausende Unschuldige gestorben und die Welt hat geschwiegen. Bis zu diesem Foto. Mein Neffe Alan Kurdi. Es hat die Leute bewegt. Es hat Millionen Herzen berührt. Und die meisten haben dann ihr Schweigen gebrochen und haben gesagt: Genug ist genug. Wir müssen anderen helfen."
Tima Kurdi erzählt, dass ihr Bruder Abdullah heute in Erbil lebt – im irakischen Kurdengebiet. Er sei bereit mit uns zu sprechen. Wegen der Corona-Krise können wir nicht in den Irak reisen. Am Telefon berichtet er uns, wie er heute über die Ereignisse von damals denkt.
"Nach dem Unfall habe ich mich gefreut zu sehen, das Länder ihre Grenzen und ihre Herzen für die Flüchtlinge geöffnet haben. Und dass sie sie mit Herzlichkeit empfangen haben. Aber leider, nach zwei oder drei Monaten, hat man diese Herzlichkeit wieder vernachlässigt. Ich rate den Menschen ab, sich auf den gefährlichen Weg zu machen. Nach Deutschland oder egal in welches Land", sagt Abdullah Kurdi.
Neuanfang nach der Trauer
Abdullah Kurdis Schicksal ist auch Thema im kurdischen Fernsehen. Sogar mit einer neuen, frohen Botschaft: Abdullah Kurdi ist noch einmal Vater geworden. Vor drei Jahren hatte er wieder geheiratet.
"Als das neue Baby kam, war ich sehr überrascht. Ich konnte es nicht glauben. Es war wie ein Schock. Ich wusste nicht, ob ich mich freuen soll oder mich traurig fühlen oder weinen soll...Keine Ahnung, was mit mir passiert ist. Wenn man sein eigenes Kind verliert, ich hoffe du wirst sowas nie erleben. Es ist ein sehr eigenartiges Gefühl, wenn man schon mal ein Kind verloren hat und dann ein neues Baby bekommt. Mir geht es jetzt Gott sei Dank besser. Ich bin glücklich über dieses Kind", erzählt Abdullah Kurdi.
"Manchmal schickt er mir Videos, wie er mit dem Baby spricht oder für das Baby singt. Manchmal wenn ich ihn anrufe, ist er in einem anderen Raum, weil das Baby weint. Er sagt mir: Ich kann ihn nicht weinen sehen. Meine Schwester sagt: Vielleicht erinnert dieses Weinen an den Moment, als er seine Familie verloren hat. Und sie haben auch geschrien und geweint. Vielleicht. Wenn du traumatisiert bist, dann dauert es lange bis du geheilt bist. Ich weiß es aus eigenen Erfahrungen", sagt Tima Kurdi.
Das Baby ist sein großes Geschenk: Abdullah Kurdi hat es nach seinem verstorbenen Sohn benannt, Alan.
Autor: Bamdad Esmaili
Stand: 21.06.2020 20:31 Uhr
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