Mo., 22.05.17 | 04:50 Uhr
Das Erste
Irak: Rache oder Versöhnung?
Mossul ist eine Trümmerstadt. Die Häuser zerbombt, die Straßen gleichen Schutthalden. In der Altstadt wird immer noch geschossen. Irakische Truppen versuchen im Häuserkampf die letzten Anhänger der Terrorgruppe des sogenannten "Islamischen Staates" aus der nordirakischen Metropole zu vertreiben. Tausende Zivilisten haben ihr Leben verloren. Hunderttausende sind geflohen. Vor Terror, Massenmord und Krieg.
In ihren Seelen sieht es wahrscheinlich so aus wie in den Straßen ihrer Heimatstadt: Trümmerlandschaften. Und noch bevor der Krieg beendet ist, versucht die irakische Regierung in Mossul das Geschehen aufzuarbeiten. Einige wenige Richter sollen vor Ort Täter identifizieren und gleichzeitig Opfern Gerechtigkeit widerfahren lassen. Im Minutentakt wird abgeurteilt oder entschädigt. Kann so ein Land wieder befriedet und versöhnt werden? Oder siegt am Ende doch die Rache?
Eine Reportage von Daniel Hechler (ARD-Studio Kairo).
Gefesselt, gebeugt, gedemütigt. Mutmaßliche Mörder, Handlanger, Mitläufer des IS auf dem Weg zu ihrem Richter. Vorbei an denen, die unter dem IS gelitten, Hab und Gut, ihre Liebsten verloren haben und nun Gerechtigkeit wollen. Es sind Dutzende, ja Hunderte, die jeden Morgen in Bussen aus der ganzen Provinz zu einem Sondergericht nach Karakosch fahren.
Papierkrieg und stundenlanges Warten
Hamed Mosleh war schon etliche Male hier. Der 57jährige will Geld von der Regierung für einen schmerzhaften Verlust. Es ist viel Papierkrieg. Er muss nachweisen, dass die Terrororganisation Islamischer Staat seinen Sohn ermordet hat. 22 Jahre war er alt, hatte eine Frau und zwei Kinder, eines davon noch ein Baby. "Er war damals bei der irakischen Armee. Während seines Urlaubs saß er beim Friseur. IS-Kämpfer haben ihn mit zwei Schüssen erschossen. Die Leute im Laden haben mich angerufen. Dann habe ich meinen getöteten Sohn auf dem Friseurstuhl gesehen."
Von solchen und ähnlichen Schicksalen können alle hier berichten: Oft warten sie Stunden im tristen Treppenhaus der Villa auf ihre Anhörung. Sie kommen mit Fotos, Pässen, Sterbeurkunden. "Vier IS-Kämpfer haben meinen Mann entführt", erzählt Abir Al. "Sie haben ihn um elf Uhr nachts mitgenommen, weil er mit der irakischen Polizei zusammengearbeitet hat. Seit zwei Jahren habe ich nichts mehr von ihm gehört." Und Hana Ghanem erzählt: "Im Januar, nach der Befreiung vom IS in unserem Viertel, ist mein Sohn und mein Enkel durch eine Sprengfalle ums Leben gekommen. Mein Enkelkind war sofort tot. Er war elf Jahre alt. Mein Sohn war verletzt. Wir haben ihn noch in ein Militärkrankenhaus gebracht. Sie konnten ihm nicht mehr helfen. Zwei Stunden später starb er."
Hinter dieser Tür soll ein einziger Richter all das prüfen und bestätigen. Drehen dürfen wir ihn nicht. Dabei sein schon. Es sind in der Regel wenige Minuten, manchmal nur Sekunden, die er sich für jeden Fall nimmt. Mal geht es um ein zerstörtes Auto, ein zertrümmertes Haus, Folter, den Tod von Verwandten. Erst wenn alle Dokumente vorliegen, entscheidet ein Komitee in Bagdad über eine Entschädigung. Unten kauern derweil die Beschuldigten in einer Ecke und warten auf ihre Anhörung. Sie zu filmen wird uns verboten. Die wenigen Schnappschüsse geben eine Ahnung davon, wie die irakischen Spezialkräfte sie behandeln. "Hier, hinter dieser Mauer knien fünf Beschuldigte mit verbundenen Augen, streng bewacht, sie werden immer wieder geschlagen" sagt Daniel Hechler. "Einige haben Verletzungen an den Augen, einer Striemen am Hüftbereich. Sie sind abgemagert, die Bärte geschoren, der Kopf rasiert, das ist die Seite des Verfahrens, die das Gericht nicht so gerne ausländischen Fernsehsendern zeigt."
Der Hass sitzt tief
In der Provinzhauptstadt Mossul, keine 30 Kilometer nordwestlich von Karakosch, liegen ganze Stadtviertel in Trümmern. Der Häuserkampf hat Tausende Menschenleben gekostet. Drei Jahre IS-Herrschaft tiefe Wunden gerissen. Im Ostteil der Stadt kehrt langsam so etwas wie Alltag zurück. Aber werden die Menschen je wieder friedlich zusammenleben können? Hamed Mosleh ist vor zwei Monaten mit seiner Familie bei Freunden in Ost-Mossul untergekommen. Er floh aus einem westlichen Viertel vor dem Terror des IS. Dort musste der Grundschullehrer seine Schüler Patronenhülsen zählen lassen, damit sie Rechnen lernen. Von Heimat und Nation durfte er nicht mehr sprechen. Einige Lehrer verweigerten sich dem. "Ein IS-Mann, er war sehr groß, bewaffnet, hatte eine Kalaschnikow und Granaten bei sich, stand auf einem Podest und drohte uns Lehrern, einen von uns zu köpfen und den Kopf im Zentrum der Stadt aufzuhängen, wenn wir nicht weiter so unterrichten würden."
Zuletzt gab es fast nichts mehr zu essen. Eine Autobombe zerstörte sein Haus. Am meisten aber schmerzt Mosleh der Tod seines ältesten Sohnes. Erfahrungen, die ihn bitter gemacht haben. "Es gibt keine Versöhnung mit den IS-Anhängern. Der Hass sitzt zu tief. In einem befreiten Viertel haben die Menschen sogar die Gräber der IS-Kämpfer zerstört. Es ist völlig unmöglich, sich mit den IS-Anhängern je zu versöhnen."
Erwartet sie ein faires Verfahren in Karakosch? Der Gerichtssaal für die mutmaßlichen Täter ist nur ein paar Meter von dem der Opfer entfernt. Auch hier dürfen wir nicht drehen, aber zuschauen. Mit den Händen auf dem Rücken werden die Beschuldigten vorgeführt, herumgeschubst, angebrüllt. Der Pflichtverteidiger schweigt die meiste Zeit.
In 20 Minuten zu Versöhnung und Gerechtigkeit?
"Es sind Anhörungen im Schnellverfahren", sagt Daniel Hechler. "Die Beschuldigten kommen kaum zu Wort, wirken wie unter Drogen. Einer hat soeben sofort eingeräumt, dass er für die Sittenpolizei gearbeitet hat, nannten dann auch schon gleich die Namen von Kollaborateuren, zwei andere haben bestritten, je für den IS gearbeitet zu haben. Das zog der Richter wiederum in Zweifel, der sich auf Verwandte berief, die für den IS gearbeitet haben sollen und ominöse Augenzeugenberichte. Das steht Aussage gegen Aussage. Nach 20 Minuten wird die Akte schon geschlossen und nach Bagdad geschickt."
Auf viele dürfte dort die Todesstrafe warten. Für die Opfer des IS hat das Warten gegen 14 Uhr ein Ende. Ein Mitarbeiter des Gerichts verteilt die ersehnten Dokumente. Die begründen den Anspruch auf Entschädigung. Kann so Gerechtigkeit entstehen? Hamed Mosleh jedenfalls ist zufrieden. Ob er und der Irak so Frieden finden werden, das allerdings ist völlig ungewiss.
Stand: 14.07.2019 16:20 Uhr
Kommentare