Mo., 22.05.17 | 04:50 Uhr
Das Erste
Vereinigte Arabische Emirate: Eine Ministerin für Toleranz
Sie ist klug, scharfsinnig und voller Ideen: Sheika Lubna al-Qasimi. Ihr Aufgabengebiet: Toleranz. Sie entstammt einer adligen Familie, aber ihren Erfolg hat sie sich selbst zu verdanken. Und das ist eher ungewöhnlich, in dem Land, in dem sie lebt: Die Vereinigten Arabischen Emirate. Die Föderation am Persischen Golf wird monarchistisch und autoritär regiert. Männer machen die Politik.
Aber Sheikh Luba al-Qasimi hat gezeigt, dass auch Frauen Karriere machen können. Sie hat im Ausland Informatik studiert, wurde in Abu Dhabi die erste Frau in einem Regierungskabinett und führt nun ein neugeschaffenes Ministerium: Ein Amt für Toleranz. Mehr als nur ein Feigenblatt in einem Land, in dem Meinungs- und Versammlungsfreiheit massiv eingeschränkt sind?
Alexander Stenzel hat die Ministerin bei ihrer täglichen Arbeit begleitet (ARD-Studio Kairo).
Ihr Blick ist offen, ihr Verstand scharf und ihr Humor berühmt. Lubna Al-Qasimi. Nichte eines Emirs zwar. Aber auch eine self-made Frau aus den Vereinigten Arabischen Emiraten. "Direkt neben dieser Mosche hier ist die Saint Andrew Kirche. Dort oben steht der Name." Lubna Al Qasimi ist Ministerin für Toleranz. Die gläubige Muslima pflegt den ungezwungenen Kontakt mit Vertretern anderer Religionen. In Abu Dhabi trifft sie sich mit christlichen Gemeinden. Nicht zum ersten Mal. "Ich bin mit einigen Priestern zum Vatikan gereist. Wir waren beim Nationalen Gebetstag in Washington D.C. Mit Priester Andy war ich bei dem Scheich der ägyptischen Al Azhar. Es geht darum zu zeigen, dass wir zuallererst Menschen sind."
Toleranz, sagt sie, fängt im Alltag an. Miteinander reden, zuhören, verstehen. Und anderen das Gefühl geben, dazu zu gehören. "Wir erleben das hier in unserer Kirche ganz praktisch, ein friedvolles Miteinander, Nebeneinander der verschiedenen Religionen", sagt Martin Stewen vom Apostolischen Vikariat Süd-Arabien. "Ich wünschte mir manchmal in meiner deutschen Heimat oder Schweizer Heimat gäbe es ähnliches. Ich habe einige gute Ansätze in der Schweiz und in Deutschland erlebt. Aber sicher können wir uns vieles hier noch abgucken."
Echte Toleranz oder nur Show ?
Worte, die überraschen. Und die so anders klingen, als das, was einige Kritiker der Ministerin vorwerfen. Dass ihre Termine nur Show seien in einem autoritär geführten arabischen Staat. Lubna al Qasimi kennt die Kritik. Aber sie sagt: in ihrem Land fänden religiöse Extremisten keinen fruchtbaren Boden. Ihnen droht Haft von mindestens fünf Jahren. "Wir haben einige Gesetze verabschiedet, die Menschen schützen sollen vor Diskriminierung wegen ihrer Hautfarbe, vor Beleidigungen", erklärt Sheikha Lubna Al Qasimi." Dass ihre Werte nicht von anderen herabgesetzt werden oder ihre Religion diffamiert wird."
Fast vier Millionen Arbeitsmigranten leben in den Emiraten. Oft unter schwierigen sozialen Bedingungen. Aber religiös fühlen sich die meisten frei. Das erzählen Sikhs, die hier in Dubai zu einem Frühstück der Nationen eingeladen haben. Oft würden sie anderswo, von Muslimen als Ungläubige stigmatisiert. In den Emiraten aber seien sie akzeptiert. Umso mehr habe sie ein demonstrativer Besuch der Ministerin gefreut. "Sie sprach über Gleichheit, Harmonie, Toleranz", sagt der Sikh Surender Kandhari. "Die Toleranz-Politik der Vereinigten Arabischen Emirate ist unvergleichlich. Niemand auf der Welt hätte gedacht, dass so ein vielfältiges Zusammenleben möglich ist."
Toleranz auch im Zusammenleben der Geschlechter
Die private Seite von Lubna Al Qasimi. Auch hier geht sie als Frau ungewöhnliche Wege in der arabischen Welt. Ihr Hobby ist die Landwirtschaft. Sie zeigt zwei Assistenten aus dem Ministerium was sie alles anbaut. Sie sind nicht wirklich überrascht, dass ihre Chefin wieder einmal konservative Rollenbilder der arabischen Kultur aufbricht, in der Frauen weder als Chefin, Ministerin oder als Landwirtin vorgesehen sind. Selbst bei den Ministerkollegen sind die Reaktionen unterschiedlich auf ihren sehr selbstbewussten Lebensentwurf: "Manche sind schockiert, andere lachen, manche von denen sind auch Hobby-Farmer und die machen daraus einen Wettbewerb, wer besser ist – aber ich mach nicht mit."
Lubna Al Qasimi in ihrem Ministerium in Abu Dhabi. Hier empfängt sie seit einiger Zeit viele Gäste aus der ganzen Welt. Regierungsvertreter und Nichtregierungsorganisationen wollen erfahren, warum ausgerechnet die nicht gerade demokratischen Emirate ein Toleranzministerium haben. Das erste weltweit. "Es gibt so viele negative Meinungen, Hassreden, es gibt unheimlich viele hetzerische Reden, verletzende Worte. Deshalb ist es Zeit, Werte zu bewahren, speziell Toleranz, Koexistenz und Vielfalt." Toleranz – sagt Lubna Al Qasimi – beschränke sich nicht nur auf Religion. Sie müsse auch im Zusammenleben der Geschlechter gelebt werden. Die Ministerin leitet auch die Sheich Zayed Universität in Abu Dhabi. Und sie fördert Frauen: 80 Prozent hier sind Studentinnen. Hier sind Männer eher unsichtbar. Auch das ist in der arabischen Welt außergewöhnlich. "Sie hat jüngst die Idee der Toleranz vorangebracht, dass wir tolerant zu Menschen sind, die einen anderen kulturellen Hintergrund haben, eine andere Haltung, ein anderes Verhalten", sagt eine Studentin. "Das hat uns beeinflusst. Besonders mich als Frau.”
Lubna Al Qasimi auf dem Weg zur Großen Moschee, zu ihrer eigenen Glaubensgemeinschaft. Sie weiß, dass ihren Ideen Grenzen gesetzt sind. Die Emirate wollten keine bloße Kopie westlicher Werte. So ist zum Beispiel Sex vor der Ehe ein Verbrechen. Das kann und will sie auch nicht ändern. "Ich habe das in einer westlichen Gesellschaft nicht verurteilt. Ich lebte fünf Jahre in Kalifornien. Ich bin durch Europa gereist. Ich urteile nicht darüber, wie andere dies sehen. Aber ich erwarte, dass andere nicht über mich urteilen, weil ich meine Tradition respektiere." Tradition und Moderne. Für beides steht Lubna Al Qasimi, die weltweit erste Ministerin für Toleranz.
Stand: 14.07.2019 16:20 Uhr
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