So., 18.02.18 | 19:20 Uhr
Das Erste
Irak: Wiederaufbau eines kaputten Landes
Wenn Ali al-Baroodi durch West-Mossul radelt, ist es für ihn eine Reise in die dunkle Vergangenheit: Die Ruinen am Straßenrand erinnern den 36-Jährigen schmerzhaft an die schlimmsten Jahre seines Lebens, die unter IS-Herrschaft. Jahrhunderte alte Wohnhäuser, Paläste, Kirchen, auch die weltberühmte Nuri-Moschee liegen in Trümmern. Mit seiner Kamera will der Uni-Dozent Niedergang und Neuanfang seiner Heimat dokumentieren: "Ich konnte die Altstadt zunächst nicht wieder erkennen. Es war das beliebteste Viertel der Stadt. Jetzt ist es eine Geisterstadt, ein gefährliches Pflaster. Und es ist leer. Die Seele der Stadt ist verschwunden."
Mit dem Rad entdeckt Ali seine Stadt nach drei Jahren Krieg und Terror neu. Jeder Farbklecks, den er entdeckt, gibt ihm neue Lebenskraft. Und die Farben kommen zurück nach Mossul. Die schwarzen IS-Fahnen, die mörderische Propaganda an Mauern und Brücken – sie sind Geschichte. Straßenkünstler übermalen sie mit Liebeserklärungen an ihre Stadt. Trotz allem, was war, wie Hassan Abdul Satar al-Dhulama sagt: "Ich liebe meine Stadt, sie hat eine tolle Ausstrahlung. Wir geben ihr jetzt zurück, was sie uns gegeben hat. Wir sind hier zur Schule gegangen, zur Universität. Und jetzt braucht die Stadt eben uns."
Es sind solche Botschaften, die Ali mit seinen Fotos in die Welt senden will. Die Ära von Hass und Angst sei nun ein für alle Mal vorbei. Mossul lebe wieder: "Sie haben junge Leute mit diesen Parolen angelockt, sie verführt zu töten, Minderheiten auszuradieren. Sie wollten uns ihre dunkle Sicht der Welt aufzwingen, rote Linien ziehen. Es ist sehr wichtig, das jetzt mit viel Farbe auszuradieren."
Wunden der Vergangenheit
Die Wunden der Vergangenheit aber sind längst noch nicht verheilt. Auch Ali spürt tiefes Misstrauen. Wer hat mit dem IS sympathisiert, kollaboriert? Mit seinen Fotos, seinem Blog, auf den sozialen Netzwerken setzt er eigene Akzente. Er glaubt, dass Mossul besser als sein Image ist: "Mossul ist nicht der IS. Mossul war immer eine Stadt der Vielfalt. Ich hatte christliche, kurdische, jesidische Studenten. Wir wären nie auf die Idee gekommen, ihnen ein Haar zu krümmen. Was passiert ist, war außergewöhnlich brutal, begangen durch eine winzige Minderheit der Moslems."
Fotos aus der dunklen Zeit: Er hat sie heimlich aufgenommen und damit sein Leben riskiert. Die Universität, verwaist und verlassen, die meisten Fakultäten geschlossen. Auch Ali verlor seinen Job als Dozent. Sein Vater: sein Leben lang hat er sich rasiert. Unter dem IS musste er sich einen Bart wachsen lassen. Der Almanossa-Platz, zentraler Platz für Feste und Feierlichkeiten, drei Jahre unter dem Banner des IS. Heute ist die Fahne weg, geblieben sind Geröll und Graffiti. "Unsere Symbole, unsere Märtyrer", steht da etwa: "ohne ihr Blut wären wir nicht frei."
Gegenüber die Ruinen des assyrischen Tors, einst Wahrzeichen der Stadt, 3000 Jahre alt – IS-Milizen haben es gesprengt. Ali al-Baroodi: "Mich deprimiert das. Es bricht mein Herz. Gott sei Dank konnte ich noch ein paar Fotos davon machen, als es noch stand. Jetzt ist es weg. Immerhin bleiben wunderschöne Erinnerungen."
Neue Plätze für die Menschen
Das Lese-Café: ein Ort, der Freiheit atmet. Vor einem Jahr noch war das Gebäude ausgebrannt. Nun treffen sich Schüler, Studenten und Künstler, um all das zu tun, was jahrelang verboten war: lesen, musizieren, rauchen, sich amüsieren. Auch einige von Alis Bildern hängen hier; er ist Stammgast, der Besitzer ein Freund: Fahed Sabah steckte nach der Befreiung all sein Erspartes in das Café. Über die Zeit des IS verschlang er im Verborgenen zahllose Bücher. Seither ist er überzeugt: jede Veränderung beginnt mit Literatur: "Dieser Ort wird ein Erfolg, wenn junge Leute sich entscheiden, das dunkle Zeitalter auszulöschen und hier eine neue, friedliche, kreative Zukunft zu beginnen."
Manches spricht dafür, dass das gelingen könnte. In den Straßen von Mossul erklingt Musik: Drei Jahre haben Hakam und Mohammed ihre Instrumente vor den Sittenwächtern des IS versteckt. Jetzt musizieren sie wieder, für sich und andere. Es sind solche Motive, die Ali Hoffnung machen auf eine Zukunft seiner, geliebten, geschundenen Stadt.
Autor: Daniel Hechler, ARD Kairo
Stand: 19.02.2018 00:33 Uhr
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