So., 07.07.19 | 19:20 Uhr
Das Erste
Iran: Giftgas – Lebenslange Folgen
Wasser, es tut so gut. Und es lindert die Atemnot, den Juckreiz, jedes Mal wenn Rasul Mollai vor dem Gebet damit seinen Körper wäscht. Hier in seinem Garten in Sardasht in der iranischen Provinz West-Azerbaijan fühlt er sich wohl. Die Bäume, das Grün. Hier kommt er zur Ruhe.
Giftgasopfer leiden bis heute an den Folgen – körperlich und seelisch
"Ich bin froh, dass ich mich hier aufhalten kann. Schon meine Kindheit habe ich hier verbracht, es macht mich glücklich. Die Stadt ist so schmutzig und heiß, die Autos und die Hitze dort, all das ist nicht gut für mich. Aber hier ist die Luft viel besser. Wenn ich hier bin, dann bekomme ich besser Luft, deswegen halte ich mich hier auf", erzählt Rasul Mollai. Rasul, der 55-jährige Familienvater lebte schon immer hier, nahe an der Grenze zum Irak. Auch während des achtjährigen Iran-Irak Krieges in den 80er Jahren. "Sehen Sie die zwei Hügel da drüben, die wurden mindestens 50 mal bombardiert. Da haben sich iranische Soldaten aufgehalten und viele sind dort ums Leben gekommen. Die Menschen konnten nach dem Krieg hier nicht mehr leben und die Bäume waren alle weggebombt", so Rasul Mollai.
Die Bomben beinhalteten nicht nur Sprengstoff. Mehrere 250 Kilogramm schwere Senfgasbomben warf die irakische Luftwaffe um 16 Uhr auf Befehl Saddam Husseins auf die Menschen in Sardasht ab. Das Senfgas verätzte Rasuls Bronchien und seine Atemwege.
"Ich habe ständig Schleim im Hals. Das Problem ist, keiner sieht es mir an, wie krank ich bin. Doch die Menschen haben mich bis jetzt schon so oft beleidigt und beschimpft, weil ich ständig huste und spucke. Ich sage denen dann, dass ich hoffe, dass sie nie so krank werden wie ich. Das ist der Grund, warum ich mich aus der Gesellschaft zurückziehe", erzählt Rasul Mollai.
Rasul Mollai war eines von Tausenden Giftgasopfern im Krieg mit dem Irak. Unter den Folgen leidet er bis heute, körperlich und seelisch. Der Irak drohte damals dem Iran im Radio: 'Ihr werdet nicht mehr atmen können'.
Interesse der Welt am Krieg war verhalten
Am 27. Juni 1987 wurden mehr als 130 Menschen durch den Kampfstoff Senfgas getötet – innerhalb weniger Stunden. Das irakische Regime hatte seit Jahren in Laboren an diesen Waffen gearbeitet. Die Chemikalien sowie die Laborausrüstung dafür sollen größtenteils aus Deutschland gekommen sein, betont der Iran seit Jahren. Die Bundesregierung weist eine Mitverantwortung dafür bis heute zurück. Das Senfgas verätzte die Haut der Menschen, führte zu eiternden Blasen. Augen, Atemwege, Verdauungstrakt und Schleimhäute wurden beschädigt oder zerstört.
Der Westen war damals auf Seiten des Iraks. Man unterstütze mit allen Mitteln Saddam Hussein. Iran zeigte einen Tag nach dem Giftgasangriff internationalen Journalisten den Schauplatz der Angriffe, doch das Interesse der Welt war verhalten.
Sardasht war ein Test für Saddam Hussein, der ohne Konsequenzen blieb. Deshalb bombardierte er nur Monate später auch eine weitere kurdische Stadt: Halabdscha im Irak. Ein Massaker mit über 5.000 Todesopfern.
Keine Möglichkeit, benötigte Medizin zu kaufen
Die Giftgasangriffe auf Sardasht prägen noch immer den Alltag. Zwei Drittel der Menschen, die damals in Sardasht lebten, waren davon betroffen. Jeder hat mindestens eine Person in der Familie, die immer noch an den Folgen leidet und auf Arznei angewiesen ist, die aufgrund der amerikanischen Sanktionen jetzt nicht mehr ins Land gelangt. Zwar fällt Medizin unter humanitäre Güter, die könnten aus Europa geliefert werden, doch weil der globale Zahlungsverkehr über US-Dollar abgewickelt wird, gibt es für den Iran keine Möglichkeit, die Medizin zu kaufen.
"Uns fehlt vor allem das wichtige Medikament Seretid aus Frankreich und Atrovent aus Deutschland. Es gibt große Einschränkungen im medizinischen Bereich aufgrund der Sanktionen. Das ist einfach unmenschlich und gewissenslos und weit entfernt von Menschenwürde", sagt Dr. Abbas Esmaili Sani, Arzt.
Die Folgen dauern Generationen
Zuhause bei Rasul. Seine Frau Javaher hat ihn trotz seiner Leiden geheiratet und kennt seine Beschwerden seit 30 Jahren. "Bis zum Morgen muss er so die ganze Nacht im Sitzen schlafen, sonst würde die Sauerstoffmaschine abfallen. Ich bleibe die ganze Nacht neben ihm. Er kann sich nicht hinlegen, er kriegt kaum Luft. Ohne Sauerstoff kann er nicht einschlafen, sonst erstickt er", erzählt Javaher Rashidi.
Eine Entschädigung hat die Familie nie bekommen. Ihre größte Sorge ist jedoch nicht die der Entschädigung, sondern die, dass ein neuer Krieg beginnen könnte. "Krieg ist überhaupt nicht gut. Nie. Auch Amerika wird davon nicht profitieren, wenn sie uns angreifen werden", so Rasul Mollai. Dann sagt uns Rasul noch, der Abwurf der Senfgasbomben dauerte Sekunden, über die Folgen hinwegzukommen, dauere Generationen.
Autorin: Natalie Amiri /ARD Studio Teheran
Stand: 08.07.2019 14:25 Uhr
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