So., 02.02.20 | 19:20 Uhr
Italien: Die Kindersoldaten der ’Ndrangheta
Kinder, die schießen, strangulieren und Tote zerstückeln: 50 Mafia-Morde landeten im vergangenen Jahrzehnt vor kalabrischen Jugendgerichten. Da waren Beamte schon 20 Jahre lang an Schulen aktiv.Damals kannten die Ermittler schon einige der Mafia-Riten.
Nicola Gratteri ist heute Leiter der Staatsanwaltschaft von Catanzaro. 2006 klopfte Luigi Bonaventura dort an die Tür – und sagte aus, der Sohn eines 'Ndrangheta-Bosses und Neffe des legendären Paten Luigi Vrenna. Der Clan gehört bis heute zum so genannten Mafia-Adel.
Über seine Jugendjahre schwieg Luigi – bislang. Er sei selbst ein Kindersoldat gewesen, gesteht er jetzt. So erschoß er in Crotone einen Fischhändler. Da war Luigi gerade 20: "Das ist kein Leben, keine Kindheit. Das ist eine Art krimineller Dressur, eine Kindheit wie bei Islamisten."
Hilfe für die Kinder
Der zweite 'Ndrangheta-Krieg endete vor 30 Jahren mit hunderten von Toten in Reggio Calabria. Damals war der Orden der "Alcantarine"-Schwestern in vielen Problemvierteln Süditaliens schon tätig.
Offene Gewalt ist heute nicht mehr das einzige Mittel. "Archi" ist ein Stadtteil der tausend Augen und Ohren, Straßen ohne Name, Parzellen anstelle von Hausnummern. Der Schwestern-Orden ist hier mit so genannten Animateuren vertreten. Unterstützung der Gemeinde von Reggio Calabria: Fehlanzeige. Die Kinder sind auf die wenigen Mittel der Schwestern angewiesen und auf den Elan jugendlicher Betreuer, die ihre Sprache sprechen.
Ein Projekt wurde vom Jugendgericht in Reggio Calabria initiiert, das Netzwerk "Frei, zu wählen" von Roberto Di Bella. Es bietet die Möglichkeit, dem mafiösen Umfeld zu entkommen. 70 Minderjährige sind mittlerweile in Pflegefamilien gebracht – Achtungserfolge zwischen Skepsis und Hoffnung.
Roberto Di Bella, Präsident des Jugendgerichts von Reggio Calabria: "Die Situation ist immer noch dramatisch: Im vergangenen Jahr urteilten wir über Jugendliche, die schon vor 30 Jahren hier vor Gericht standen. Das zeigt, dass sich bei der 'Ndrangheta kriminelle Energie quasi vererbt."
'Ndrangheta-Basis Deutschland
Und das nicht nur in Kalabrien. In Deutschland verzeichnen die Behörden gut 1000 Mitglieder und knapp 20 Stützpunkte. Auch hier würden die Kinder gedrillt, aber für andere Aufgaben, so eine Expertin, die sich in Bayern um Mafiaausteiger kümmert.
Autoren: Christian Gramstadt SWR / Patrizia Venditti
Dazu auch unser Weltspiegel Podcast: "Mafias, Banden, Clans – Einblick in kriminelle Parallelwelten" mit Einschätzungen von Ellen Trapp, ARD Korrespondentin in Rom, und Andreas Ulrich, DER SPIEGEL.
Stand: 02.02.2020 22:08 Uhr
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