So., 05.04.20 | 19:15 Uhr
Das Erste
Italien: Die doppelte Krise
Für viele Menschen ist Bruder Mauro die letzte Hoffnung. Bruder Mauro ist Priester in Palermo. Seit Jahren hilft er den Armen. Er will gerade für die Schwächsten da sein. Dafür spenden ihm die Reicheren Lebensmittel, die er dann verteilen kann.
Jetzt aber, da seit vier Wochen Italien stillsteht, ist die Not in Palermo und generell im armen Süden besonders groß. Die Leute stehen regelmäßig Schlange, um ein bisschen Pasta, Öl oder Milch zu bekommen. Mauro weiß: ohne das Nötigste von ihm, würden viele verhungern: "Wir verteilen Lebensmittel in der Gemeinde an besonders Hilfebedürftigen. Aber jetzt gibt es auch schon von Menschen außerhalb der Gemeinde Anfragen. Das heißt, wir verteilen Lebensmittel in der ganzen Stadt. Denn es sind so viele, Tausende Familien, die gar kein Geld mehr in der Tasche haben."
Sozialer Frieden in Gefahr
Bruder Mauro macht sich Sorgen, große Sorgen. Auf Sizilien ist die Armut groß, die Wirtschaft schwach. Er befürchtet, wenn nicht bald Besserung in Sicht ist, hat das große Folgen für den sozialen Frieden im Land, denn schätzungsweise jeder Dritte arbeitet im Süden schwarz, auch in Palermo, mit seinen ungefähr 700.000 Einwohnern. Der Bürgermeister, Leoluca Orlando, hofft auf schnelle Unterstützung aus Rom, für alle, auch für die ärmsten der Armen.
Glücklicherweise, so Orlando, hat sich wenigstens das Corona-Virus auf Sizilien bisher nicht so ausbreiten können, wie im Norden.
Dort nämlich, 1600 Kilometer entfernt liegt Arona, am Lago Maggiore. Der wohlhabende Teil Italiens, mit einer starken Wirtschaft.
Laica, ein Familienunternehmen, exportiert Schokolade und Pralinen in 54 Länder. Fabio Saini und seine Leute dürfen noch produzieren. Laut Regierung ist Schokolade lebensnotwendig. 85 Prozent der Belegschaft muss aber zum Arbeiten in die Firma kommen – ein Problem, denn noch immer ist die Angst vor dem Virus groß. Hier in der Lombardei wütet es bis heute am schlimmsten.
Laica hat zwei Mal Hochsaison im Jahr: Weihnachten und Ostern – theoretisch. Praktisch aber mussten sie die Produktion stark runterfahren, denn die Leute kaufen nur noch das Nötigste.
Fabio Saini weiß, er könnte Hilfe beim Staat beantragen. Doch das wollen sie erst einmal nicht tun. Sie lassen denjenigen den Vortritt, die es dringender brauchen. Mit der Flexibilität aller 250 Mitarbeiter und viel Optimismus wollen sie alle gemeinsam diese Krise überstehen. Er hofft aber auch, dass Europa Italien nicht im Stich lässt. Das Land, wie fast kein anderes von Covid19 gebeutelt, brauche mehr Solidarität und weniger Nationalismus.
Italien und Europa in Gefahr
Auch die italienische Regierung versucht zu helfen. Ministerpräsident Conte verspricht Geld, viel Geld, das das Land aber eigentlich nicht hat. Große Staatsverschuldung, schwache Wirtschaft, hohe Arbeitslosigkeit – seit Jahren steckt Italien in der Krise. Dass andere EU-Staaten nicht mit sogenannten Eurobonds – einer Art Vergemeinschaftung der Schulden – helfen wollen, sorgt für Unmut.
Diese Gefahr ist im Süden bereits greifbar. Im Netz rufen nationalistische Gruppen dazu auf, gegen "das System" zu rebellieren. Prompt kam es vor einigen Tagen in Palermo zu Plünderungen und Ausschreitungen. Menschen wollten mit vollen Einkaufswagen an der Kasse vorbeigehen.
Ob die Hilfe der Regierung ausreicht? Ob Europa sich doch noch solidarisch zeigt? Wer weiß das schon. Im Moment verlassen sich viele in Palermo nur auf Bruder Mauro.
Autorin: Ellen Trapp, ARD Rom
Stand: 24.04.2020 11:31 Uhr
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