So., 22.03.20 | 19:20 Uhr
HR Fernsehen
Italien: Was tun gegen Lagerkoller?
Carlotta ist langweilig – sehr langweilig. Nie hätte sie gedacht, dass sie die Schule mal vermissen würde. Ein Gespräch mit der Klassenlehrerin nur am Bildschirm.
Zweite Woche der Ausgangssperre
„Letzte Woche waren es zu viele Hausaufgaben – diese Woche ist gut“, so Carlotta Pesce. Woche zwei mit der Ausgangssperre. Für Carlotta, ihre beiden Schwestern und ihre Eltern, den freien Fotografen Lorenzo und die Journalistin Giulia keine einfache Zeit. Niemand darf die Wohnung verlassen, keine Freunde, nichts. „Wenn Du drinsteckst, dann lebst du einfach. Man kann es natürlich nicht mit einer Kriegssituation vergleichen – die Tage kamen die Mädels und sagten: Wir müssen zu Hause bleiben, wie damals Anne Frank. Solche Ideen kamen ihnen, aber ich hab gesagt, Kinder, das ist ja was ganz anderes. Damals gab es eine Angst, die wir nicht haben müssen“, sagt Giulia Nucci, Mutter.
Giulia arbeitet meist von zu Hause. Doch Lorenzos Aufträge der kommenden Wochen wurden innerhalb kürzester Zeit alle storniert. Was heißt das? Arbeitslos, vorübergehend. „Heute musste ich ins Fotostudio, eine Zeitschrift wollte eines meiner Fotos. Das habe ich dann im Archiv suchen müssen – solche kleinen Aufgaben, geben mir das Gefühl, dass ich noch lebe“, erzählt Lorenzo Pesce, Vater.
Alltag in der Ausgangssperre wird schwieriger
„Frau Lehrerin, ich musste das aber ausdrucken", so Arianna Pesce. Ton aus dem Rechner: „...bei mir ist aber der Drucker kaputt.“ Ariana ist 12 Jahre alt, gerade hat sie Deutschunterricht über eine Lernplattform. Doch so ganz reibungslos läuft der via Computer noch nicht. „Wissen Sie, wie lange wir ungefähr in Quarantäne bleiben müssen“, fragt Arianna Pesce. Doch dann bricht das Netz zusammen...
„Ich bin keine Streberin. Aber jetzt vor dem Computer einem Erwachsenen zuzuhören, der mir was erklärt und dann erklärt er es nicht mal gut, find ich schwierig. Der Arme kann es eben nicht besser. Er unterrichtet ja auch zum ersten Mal auf dieser Lernplattform“, Arianna Pesce.
Giulia merkt, mit jedem Tag länger in der Ausgangssperre wird der Alltag schwieriger. Da wird Wäsche aufhängen zum Highlight – mal ganz alleine auf der Terrasse für ein paar Minuten.
„Das ist die Schule der Kinder. Dort hinten bei den Spielsachen ist der Kindergarten. Früher, wenn Du zum Mittagessen zu Hause warst, hast du dauernd Kindergeschrei gehört, viele Stimmen der Kinder beim Spielen. Und jetzt Totenstille“, so Giulia Nucci, Mutter.
Stresstest für die ganze Familie
Jetzt lungern die drei halt zu Hause rum, gehen sich manchmal gegenseitig auf die Nerven. Langsam werden sie ungeduldig. Aber niemand weiß, wie lange das noch so weitergehen wird. „Kommt ihr mal bitte und holt die Sachen für die Terrasse“, Lorenzo Pesce, Vater. Lorenzo sieht die Ausgangssperre, bei aller Anstrengung, auch als Geschenk: große Wohnung, Terrasse für alle Hausbewohner auf dem Dach, viel Nähe zu den Kindern. Andere Menschen hätten es da deutlich schwerer. Doch gleichzeitig ist es auch ihr erster große Stresstest.
„Es ist Mist – viel zu viele Regeln“, so Carlotta Pesce. „Mama und Papa sind Nervensägen. Mach dies, tu das nicht. Räum auf. Nein Arianna, mach das nicht. Videoanruf geht auch nicht. Und heut` früh hatte ich auch noch Streit mit Papa“, sagt Arianna Pesce.
Damit das alles nicht in einem absoluten Chaos endet, haben sich Arianna, Carlotta und Domitilla einen Tagesplan überlegt – zumindest für die Werktage. Etwas Struktur braucht die Familie. Dazu gehört auch das tägliche Fitnessprogramm auf der Terrasse – denn im normalen Leben tanzen, kicken und laufen die Mädchen regelmäßig.
„Wir hangeln uns von Tag zu Tag. Auch wenn ich lese, dass es bis Sommer oder April so weitergehen könnte. Darüber will ich nicht nachdenken. Ich verbiete mir den Gedanken“, erzählt Giulia Nucci, Mutter.
Verabredungen via Skype
Damit sie in dieser Ausgangssperre nicht vereinsamen verabreden sie sich regelmäßig mit Freundinnen via Skype. Carlotta und Anna gehen in eine Klasse. „Mir geht’s so naja. Ich mache mir Sorgen wegen des Coronavirus“, sagt Anna, Mitschülerin. „Ich hab Angst, dass sie die Quarantäne bis zum letzten Schultag verlängern“, erzählt Carlotta Pesce.
„Ich fühle mich im Moment sehr beschützt, fühl mich zufrieden Italiener zu sein, zufrieden, dass ich in Rom bin. Schön, dass man sich von Fenster zu Fenster grüßt, dem Nachbarn winkt. Eine schöne Atmosphäre – schwierig, aber du fühlst Dich als Teil der Geschichte“, sagt Lorenzo Pesce, Vater.
Und so versucht sich jeder in der Familie, Freiräume zu schaffen und vor allem das Positive nicht aus dem Blick zu verlieren. Andrà tutto bene: Alles wird gut.
Autorin: Ellen Trapp/ARD Studio Rom
Stand: 22.03.2020 20:21 Uhr
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