So., 04.09.22 | 18:30 Uhr
Das Erste
Italien: Meloni, Salvini, Berlusconi - Droht in Italien ein Rechtsruck?
Wer sind die Fratelli d’Italia? Caio Giulio Cesare Mussolini möchte uns dies erklären: Er ist Urenkel des früheren faschistischen Diktators Benito Mussolini. Gemeinsam warten wir auf den Auftritt der Spitzenkandidatin Giorgia Meloni. Dass sich jemand mit dem Namen Mussolini für eine Partei mit faschistischem Erbe engagiert, wirkt verstörend. Mussolini sieht es anders: "Ich habe mir offensichtlich meinen Namen nicht selbst ausgesucht. Ich versuche unabhängig von meinem Namen deutlich zu machen, dass ich eigene Ideen weitertrage."
Mussolini sieht sich als konservativen Demokraten: Er hat vor drei Jahren bei den Europawahlen für die Brüder Italiens kandidiert, damals eine Kleinstpartei, wird sie nun nach Umfragen die nächste Ministerpräsidentin Italiens stellen: Giorgia Meloni. Als Studentin bei der nationalistischen Jugend Azione Giovane, dann jüngste Ministerin unter Berlusconi, wechselte sie später zur Neugründung der postfaschistischen Partei "Brüder Italiens" und wurde ihre Chefin: Noch im Juni wettert sie bei einer Veranstaltung mit der befreundeten rechtsextremen Vox-Partei in Spanien gegen Homosexuelle, gegen Migranten, gegen die EU.
Einzige Oppositionspartei
Als einzige Oppositionspartei zur Regierung Draghi konnten sich die Fratelli als Sammelbecken der Unzufriedenen etablieren. Nun sind sie im rechtskonservativen Spektrum die stärkste Kraft und könnten Draghis Nachfolgerin stellen.
Sanft lächelt Giorgia vom Wahlplakat, während die Flamme im Parteilogo auf das faschistische Erbe verweist: 100 Jahre nach der Machtergreifung des Duce.
Politikwissenschaftler Giovanni Orsina betont, dass sich die Fratelli zuletzt bemüht haben, sich vom faschistischen Erbe zu distanzieren, zumindest im Wahlkampf.
Ortswechsel: In Civitanova Marche will Kwanza Dos Santos mit anderen Menschen aus Afrika Blumen niederlegen für einen ermordeten Nigerianer. Anfang August wurde Alika Ogorchukwu auf offener Straße totgeschlagen. Aufnahmen von dem Angriff gibt es, eingeschritten ist niemand. Das Verbrechen geschah mitten im Wahlkampf und lenkte kurzzeitig den Blick auf die Gleichgültigkeit gegenüber Migranten. Es wurde von allen Parteien verurteilt, auch von den Brüder Italiens. Kwanza Dos Santos, Aktivistin für Rechte von ethnischen Minderheiten, "QuestaèRoma": "Diese Hassreden von einflussreichen Menschen in politischen Positionen, die Vorbilder sind, ihre Hassreden legitimieren in gewissem Sinne den Hass."
Alles also nur halb so schlimm mit dem Rechtsruck in Italien? Bevor wir uns von Mussolini verabschieden. will er uns aber noch etwas zeigen. Zwei Stunden nachdem er seine Distanz zum Faschismus beteuert hat, führt er uns zu einem ehemaligen Ferienheim für Kinder, gebaut im Faschismus. Dass es hier auch um politische Indoktrination ging, sagt er nicht. Er lobt die gute Bausubstanz. Der Schriftzug "Duce" ist noch gut lesbar. Sehnsucht nach der alten Größe. Das Unbehagen über den Aufstieg der "Brüder Italiens": es bleibt.
Autor: Rüdiger Kronthaler, ARD Rom
Stand: 05.09.2022 10:14 Uhr
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