So., 12.05.24 | 18:30 Uhr
Das Erste
Japan: Hilfe, die Touristen kommen!
Wegen des schwachen Yen ist Reisen nach Japan so billig wie seit Jahrzehnten nicht mehr, und viele ausländische Besucher nutzen die Gelegenheit. Die Kleinstadt Fujikawaguchiko am Berg Fuji zieht jetzt die Notbremse. Die Gemeindeverwaltung will den Blick auf den berühmten Berg Fuji mit einer riesigen Sichtblende versperren. Denn die Touristen kommen nur um das eine Bild zu machen, ein Bild das tausendfach auf Instagram und TikTok zu sehen ist: Der Fuji über dem Dach des Supermarkts. Overtourism, denn der Ort hat nur wenig davon.
Alle wollen zum Supermarkt mit Fuji im Hintergrund
Ein Laufsteg unter freiem Himmel. Ein Bergpanorama zum Greifen nah. Ein Platz zum Genießen und…zum Abgewöhnen. Das Städtchen Fujikawaguchiko, berühmt für seine malerische Lage. Doch die meisten Touristen zieht es zu einem Supermarkt mit Parkplatz. "In Japan musst Du die Natur anschauen – und den Berg Fuji", sagt Ben Sun, Tourist aus Australien. "Seht Ihr den Ausblick hinter uns? Wir lieben es. Wir kommen sicher wieder vorbei", meint John Ngyuen, Tourist aus Australien. Wie haben Sie davon erfahren? "TikTok! Das ist alles auf TikTok!" Und Alex Dai Touristin aus China meint: "Klar, Instagram, Tiktok, und außerdem nutze ich noch andere Soziale Medien." "Ich war schon öfter in der Gegend. Von diesem Ort habe ich erst kürzlich erfahren. Ich habe gelesen, dass sie den Ausblick blockieren werden. Das ist der Grund, warum wir hierhergekommen sind", so Umberto De Armas, Tourist aus Venezuela.
Die Herzen schlagen höher auf dem staubigen Parkplatz. Im Blick zwei japanische Legenden – der Markt und der Berg. Tradition und Moderne. Japan pur. Und die Fans so von Sinnen, dass sie den Durchgangsverkehr nicht beachten. "Wenn Sie die Straße überqueren wollen, nutzen Sie bitte den Zebrastreifen!", ermahnt der Wachmann. "Wenn ich kurz wegschaue, dann gehen die Leute einfach so rüber. Wenn ich mit jemandem spreche, passiert es wieder." Schluss damit, fordert die Gemeindeverwaltung. Sie will eine Sichtblende aufhängen, 2,50 Meter hoch und 20 Meter lang. Zu der Blick-Blockade kein Statement vor der Kamera. Zu viel Staub hat das schon aufgewirbelt, hier und in den Medien.
Ein Selfie ohne Rücksicht auf die Anwohner
Keiko Watanabe sieht dem Treiben zu, seit das Netz den Ort vor anderthalb Jahren entdeckt hat. Zwischen ihren Blumen landen immer wieder Müll und gebrauchte Babywindeln. "Eigentlich finde ich die Sichtblende ein bisschen übertrieben. Aber wenn die Leute einfach so auf die Straße laufen und Privatgrundstücke betreten, dann bleibt wohl nichts anderes übrig." Der Wachmann ist genervt: "Steigen Sie doch nicht hier aus! Wie wollen sie denn auf den Bürgersteig kommen? Sie sehen doch, dass hier die Busse entlangfahren." Nein, auch für Fahrräder kein guter Ort zum Überqueren. Wo die Selbstdarstellung regiert, setzt die Vernunft manchmal aus. "Wir wohnen auch in einem Ausflugsort", sagt Kuniko Anzai, Touristin aus Japan. "Da gibt es auch viele Probleme wegen des Tourismus und viele Versuche, etwas dagegen zu unternehmen. Aber nichts hilft."
Von morgens bis abends Zoomen, Auslösen, Weiterfahren. Digitale Wegelagerei. Was Influencer im Netz anpreisen, bestimmt immer öfter das Reiseverhalten. Die Empfehlungen von Ariel Lee zum Beispiel verfolgen mehr als 140.000 Follower. Aber auch für die Taiwanerin, die Japan liebt, geht es im Netz mitunter zu weit. "Manchmal gibt es Orte, die sind wirklich nicht dafür geeignet. Wir müssen mehr darüber nachdenken, welche Folgen das für die betroffenen Orte hat", so die Reise-Influencerin Ariel Lee. Ariel will helfen, die Besucherströme umzulenken. Sie arbeitet oft im Auftrag von Provinzgemeinden, die den Tourismus noch nicht satthaben. "Je mehr wir Orte hervorheben, die bisher niemand auf der Karte hatte, desto öfter hören die Leute davon und fahren dann auch einmal dorthin." Am Fuji könnten sie die Entlastung gebrauchen. Nicht weit von hier würden die Gäste den Berg auch ohne Supermarkt im Vordergrund sehen. Aber gerade das finden sie ja so schön.
Autor: Ulrich Mendgen, ARD-Studio Tokio
Stand: 14.05.2024 09:59 Uhr
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