So., 12.05.24 | 18:30 Uhr
Das Erste
Vietnam: Pflegekräfte für Deutschland
Deutsche Krankenhäuser und Seniorenheime suchen verzweifelt Pflegekräfte. Der Bedarf ist riesig, denn die deutsche Gesellschaft vergreist. In Vietnam dagegen ist die überwiegende Zahl der Bevölkerung jung. Entsprechend groß ist der Konkurrenzkampf auf dem Arbeitsmarkt. Deutschland und Vietnam haben ein Abkommen getroffen, um junge Vietnamesinnen und Vietnamesen ins deutsche Gesundheitssystem zu holen. Die 21-jährige Ngoc lernt mit 50 Klassenkameradinnen seit sechs Monaten Deutsch. Ab August wird sie in Deutschland eine Ausbildung zur Pflegefachfrau machen. "Ich bin froh, aber auch ein bisschen nervös", erzählt sie fast akzentfrei. Bislang habe sie aber nur Gutes von Deutschland gehört.
Vorbereitung auf die Pflege in Deutschland
"Guten Tag, wie geht es Ihnen? Das Schmerzen – sehr stark oder nur ein bisschen?" Seit sechs Monaten lernen sie deutsch. Was sie heute im Unterricht üben, müssen sie ab Sommer können. Die 21-jährige Ngoc und ihre Mitschüler wollen eine Ausbildung in Deutschland machen zur Pflegefachkraft: "Gute Besserung, dann bis nächste Woche!" Applaus…. "Ich fühle mich ein bisschen nervös, aber sehr aufgeregt, ja, weil ich dort sehr viele neue Dinge erleben kann", sagt Hoang Bao Ngoc, Teilnehmerin am Triple Win Fachkräfte-Programm.
Blutdruck messen, Helfen beim An- und Ausziehen – das gehört in Zukunft zu ihren Aufgaben. Ein Jahr lang bereiten sich hier in Vietnams Hauptstadt Hanoi 50 Vietnamesinnen und Vietnamesen vor – für den Einsatz in Deutschland. Im Unterricht erarbeiten sie heute, was für den Pflegeberuf wichtig ist. Ruhe, Flexibilität und Geduld. "Wenn sie sprechen, können die Senioren sie nicht verstehen. Da braucht man viele Erklärungen.”
Normalerweise unterrichtet Berufsfachschullehrer Stefan Schiewietz in Bayern. Heute erklärt er in Hanoi, was auf Ngoc und ihre Kollegen in Deutschland während der Ausbildung zukommen wird. Er weiß, dass die angehenden Fachkräfte händeringend in Deutschland gesucht werden, aber er kennt auch die Probleme: "Also meiner Meinung nach ist es einfach gute Deutschkenntnisse und ein bisschen Aufklärung auch über die Kultur", sagt Berufsfachschullehrer Stefan Schwiewitz. Es ist natürlich entscheidend wo kommt man jetzt in Deutschland auch hin. Komme ich nach Hannover, wo vielleicht auch ein gut gepflegtes Deutsch gesprochen wird, ist das noch mal anders als wie wo ich herkomme in Niederbayern oder vielleicht auch in Ostfriesland, wo sehr starke dialektische Akzente gesprochen werden. Da ist es natürlich schon herausfordernd im Altenheim zu arbeiten und die Leute vielleicht auch erst mal nicht zu verstehen."
Auch die Familie in Vietnam soll profitieren
Viele haben ihr Land noch nie verlassen. Aufgewachsen sind die meisten hier – wie Ngoc zwischen Reisfeldern und Fischteichen. Auch Ngocs Mutter kennt Deutschland nur aus Erzählungen, ein Verwandter lebt in Heidelberg. Das Leben auf dem Dorf ist einfach. Die Mutter ist überzeugt: In Deutschland hat ihr Kind bessere Chancen und mehr Einkommen. Ngoc wiederum möchte, dass auch die Familie von ihrem Weggang profitiert. "Ich werde mein Lehrgehalt aufteilen", erzählt Hoang Bao Ngoc. "Einen Teil benötige ich für meine täglichen Ausgaben in Deutschland, den zweiten, um ein wenig für mich zu sparen und den dritten Teil schicke ich nach Vietnam zu meiner Familie."
Es war Ngocs Wunsch, nach Deutschland zu gehen. Aber beschlossen haben sie es gemeinsam. Besonders häufig können die beiden hier nicht mehr gemeinsam kochen, der Abschied liegt schon in der Luft. Sie bereiten noch mal Ngocs Lieblingsessen zu: Selleriesalat mit Rindfleisch und Garnelen. Ngocs Mutter ist 52 Jahre alt, der Vater verstorben. Die Ausbildung der Tochter in Deutschland – wie ein Lottogewinn, trotz der Trennung. "Ich bin ja noch jung, um mich soll sie sich nicht sorgen", meint die Mutter Dinh Hong Thu. "Und wenn ich irgendwann alt bin, dann hat sie ein gutes Einkommen und ein sicheres Leben in Deutschland, und kann mich dann auch aus der Ferne unterstützen."
Die Notfallambulanz im örtlichen Krankenhaus. Hier sammelt Ngoc erste Erfahrungen. Die braucht sie, um überhaupt am Programm teilnehmen zu können und dann einen Ausbildungsplatz in Deutschland zu bekommen. Die Krankenschwester sieht ihren Wegzug positiv. Überall würden Menschen gebraucht wie sie, um zu helfen. Mitgefühl sei etwas Internationales. "Ich wünsche Dir alles Gute für Deutschland", sagt Krankenschwester Bui Thi Nhung "Dass Dich dort alle so sehr mögen wie wir hier. Und dass Du uns in Vietnam stolz machst."
Kurz vor dem Start: Noch so viele Fragen….
In Hanoi ist die Aufregung heute groß, denn für Ngoc und ihre Klassenkameradinnen wird es spannend: Sie können eine ehemalige Teilnehmerin befragen, wie es ihr in Deutschland ergeht. Die 36-jährige Ha Thi Van lebt seit drei Jahren in Wismar, hat gerade die Prüfung zur Pflegefachfrau bestanden. Und kann heute ihre drängendsten Fragen beantworten: Wie sind die Deutschen zu dir? Nett und immer hilfsbereit, findet Van ihre deutschen Kolleginnen und Kollegen, auch bei Stress auf Station. Die drei erfahren, dass es für Van gar nicht so leicht war, dass Pflegekräfte in Deutschland auch fürs Waschen und die Körperpflege zuständig sind. Anders als in Vietnam. Darauf müssen sie sich einstellen.
Die Fäden aus Deutschland und Vietnam laufen bei ihr zusammen: Beate Dippmar arbeitet im Auftrag von deutschen Kliniken und Pflegeeinrichtungen, die ihre offenen Stellen besetzen wollen. Bisher haben sie hier knapp 400 junge Menschen nach Deutschland vermittelt. "Wir begleiten die ersten Monate in Deutschland auch noch, wenn es um Behördengänge geht und das erste Heimweh da ist, dass sie dann auch Ansprechpartner haben und die Zusammenarbeit mit dem neuen Arbeitgeber gut funktioniert. Und ob sie dann Jahre später zurück in ihr Herkunftsland kommen, hier nach Vietnam, ist dann eine individuelle Entscheidung."
Auf sie warten in diesem Jahr Ausbildungsplätze in Rostock, Cottbus und Essen. Drei Jahre lang abwechselnd Berufsschule und Krankenhaus oder Pflegeheim. Abenteuerlustig und aufgeregt. Begeistert und beunruhigt. Ngoc hat in Hanoi neue Freundinnen gefunden, die gerade das gleiche fühlen. "Für uns alle wird, glaub ich, der Anfang schwer. Oder? Für jeden von uns ist der Beginn so einer Reise die größte Herausforderung. Soviele Fragen. Wird unsere Sprache reichen? Werden wir uns gut integrieren können?" Und wie werden die Deutschen sie wohl aufnehmen? Für Ngoc und ihre Freundinnen ist es ein großer Schritt, ihr Land zu verlassen. Aber sie finden: Heimat ist da, wo sie sich wohlfühlen können. Ab August dann in Deutschland.
Autorin: Christiane Justus, ARD-Studio Singapur
Stand: 14.05.2024 09:28 Uhr
Kommentare