So., 25.04.21 | 19:20 Uhr
Das Erste
Japan: Mit 70 fängt das Leben neu an
Kalte Tage – doch Toyoki Yamada steht im dritten Frühling. Ein rüstiger Vertreter der Generation Silber. Japan stirbt aus. Und wer macht die Arbeit? Na, Yamada. Mit 70. Früher hat er Fisch filetiert, jetzt schneidet er Bäume. "Die Arbeit ist gut für mich. Sie gefällt mir und hält mich fit. Außerdem kann ich mir so was dazu verdienen. Wir bekommen Rente, aber nicht viel. Ich bin also auch drauf angewiesen", sagt Yamada.
Yamadas neue Berufung
Präfektur Kochi: Mehr als jeder Dritte hier ist älter als 65. In der Hauptstadt gehen die Rollläden runter: Vergreisung, Nachfolgermangel – Ladenschluss. Yamada, einst Sushi-Koch im eigenen Lokal, trifft vor zehn Jahren schon das Gästesterben. Jetzt wetzt er hier die Messer. Neubeginn mit Kamelien und Kettensäge.
Es geht aufwärts. Wieder als Alleinunternehmer. Aber für deutlich lukrativere 20 Euro die Stunde. "Hier in der Nähe bilden sie auch junge Leute aus. Ein Bekannter hat dort Baumschnitt gelernt. Und dann aufgehört. Ich habe gefragt, wieso. Es hat ihm nicht gefallen. Wohl, weil er mit den ganzen Alten zusammenarbeiten musste", erzählt er.
Das Haus zu diesem Garten steht übrigens leer. Die Bewohner*innen: verstorben oder im Heim. Die Angehörigen zahlen den Gärtner. Muss ja schön aussehen. Der morbide Charme von Kochi. "Ahh, das ist der Fischhändler, der fährt hier lang. Ich erschrecke mich jedes Mal", sagt Yamada.
Die Älteren sollen die Gesellschaft weiter unterstützen
Schön, die Region, aber ergraut. Japans älteste Straßenbahn: von 1904. Passt ins Bild: Wo’s lang geht, bestimmen hier die Senioren. Rotlichtviertel: obsolet. Love Hotel: Ruine.
Konan, östlich von Kochi: Hefte raus, aufgepasst. Im Zentrum für silbernes Humankapital. Klingt nach Organhandel, ist aber eine Arbeitsagentur für Rentner*innen. Herr Hamada, selbst 81, lehrt hier korrekten Baumschnitt. Das Zentrum bildet aus, vermittelt, kümmert sich um Versicherung und Steuern. Man kommt auf seine alten Tage und geht – mit Hilfe von Staat und lokalen Behörden – als Busfahrer*in, Parkhauswächter*in oder eben – Gärtner*in.
"Die Älteren müssen mithelfen. Durch den Abgang der jungen Bevölkerung käme das Leben sonst zum Erliegen. Die Erwartungen sind da recht hoch. Bei uns können sie aber ohne Druck arbeiten und so einen Beitrag für ihre Region leisten", erklärt Sumio Nakazawa, Generalsekretär des Landesverbands der Zentren für silbernes Humankapital, Präfektur Kochi.
Den Praxisteil gibt’s in der Botanik gleich hinter dem Zentrum. Ran an die kleinwüchsigen Klebsamen. Neun Azubis, Alter: 61 bis 78. Herr Okazaki, der Methusalem. Bis zur Rente war er noch Koch im Krankenhaus: "Ich bewege mich und bleibe gesund, das ist das Wichtigste. Natürlich braucht der Mensch auch Geld. Rente kommt nur alle zwei Monate. Nicht viel, und es wird immer weniger. Wo geht das Geld nur hin? Ach, das wird jetzt wieder politisch."
Das richtige Handwerk will gelernt sein
Herr Yamada, der Ex-Sushi-Koch, war auch im Silber-Zentrum. Zehn Jahre ist das her. Danach noch sechs Jahre beim Profi – freiwillig. Für Präzision und Sorgfalt, wie beim Schnitt durchs Fischfilet. "Es geht nicht darum, nur oben was abzuschneiden. Sondern, von der Wurzel an. Wenn Sie eine Steinlindeneiche nur oben stutzen, dann sieht das merkwürdig aus", erzählt Yamada.
Mittlerweile ist er so gut, dass er anderen was vormacht. Yamada hat einen Lehrling: Herrn Ogasawara. Der ist 78 und will nochmal hoch hinaus: "Ich hab’ sonst nur Wiesen gemäht, aber jetzt, dachte ich mir, probiere ich’s mal mit Baumschnitt. Werkzeug habe ich nicht, das gibt mir Herr Yamada. Er bringt mir so viel bei. Er ist ein netter Mensch."
Die Kiefer ruft, es rinnt der Schweiß. Frau Yamada komplettiert heut’ den Familien-Betrieb. Auch sie steht in der Kartei des Silberzentrums – als Reinigungskraft. Doch gibt’s viel Arbeit, unterstützt sie ihren Mann – gegen Bezahlung. "Mein Mann zieht mich mit. Und wenn wir etwas in Ordnung gebracht haben, fühle ich mich gleich besser. Die Kunden bedanken sich auch bei mir, dass es so hübsch geworden ist. Das freut mich", sagt sie.
Feierabend. Sein Werkzeug hat Yamada selbst angeschafft. Ausleihe im Silberzentrum ginge auch. Aber nein, fürs Sushi hatte er ja auch sein eigenes Besteck. Nostalgischer Blick zurück: Das waren sie, die goldenen Zeiten. Vorbei. "Es gibt hier nur noch Alte. Man hört gar keine Kinderstimmen mehr. Und überall leere Häuser. In unserer Nachbarschaft allein vier. Die Leute werden alt, sterben, aber Sohn oder Tochter wollen das Haus dann nicht", erzählt Herr Yamada.
Zehn Jahre möchte er noch die Leiter hoch. Dann ist er 80. In einem Job mit Zukunft: Japan stirbt aus, aber die Bäume wachsen.
Autor: Uwe Schwering / ARD Studio Tokio
Stand: 25.04.2021 20:24 Uhr
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