Mo., 17.09.18 | 04:50 Uhr
Das Erste
Jemen: Die größte humanitäre Katastrophe
Versunken im Schmerz am Grab ihrer Kinder. Osama war zwölf, Ali sieben Jahre alt. Ihr Vater Zeid Ali kann noch immer nicht fassen, was geschehen ist. Dass sie von einen Ausflug nie zurückgekommen sind.
Mahnmal an ein mögliches Kriegsverbrechen
Auch ihre Freunde und Spielkameraden aus der Nachbarschaft trauen mit den Eltern. 54 Kinder sind auf diesem Friedhof begraben. Opfer eines infamen Luftangriffs auf einen Schulbus Anfang August. Die Gemeinde von Dhahyan hat das ausgebrannte Gerippe des Fahrzeugs neben dem Friedhof platziert. Als Mahnmal an ein mögliches Kriegsverbrechen. Jeden Freitag kommen Eltern, Geschwister und Freunde hierher, um ihnen noch einmal nahe zu sein. Osama und Ali hatten sich auf den Schulausflug tagelang gefreut.
"Das ist die Tasche, mit Osamas und Alis Büchern. Das sind ihre Bücher. Das hier ist Alis Jacke. Von der Bombe völlig zerrissen. Und hier ist sogar noch etwas Geld für das Frühstück", so der Vater Zeid Ali Al Hommran.
Nun lächeln die beiden im Wohnzimmer von lebensgroßen Postern. Für die Familie sind sie Märtyrer. Sie alle eint die Trauer und der Schmerz über den Verlust, aber auch die Wut über das furchtbare Unglück.
"Gerade standen meine Söhne noch vor mir, dann waren sie in Stücke gerissen. Es war ein furchtbarer Schock. Ich konnte nicht einmal weinen. So groß war mein Schmerz darüber, dass ich meine Kinder verloren habe. Ich habe ein Stück von mir selbst verloren. Meine Kinder waren völlig entstellt. So wie die anderen auch", Zeid Ali Al Hommran.
Leidtragende des Krieges sind vor allem Kinder
Es geschah direkt neben dem Marktplatz. Die Explosion war Hunderte Meter weit zu hören. Der Angriff habe Huthi-Führern gegolten, erklärt die Militärführung Saudi-Arabiens. Doch offenbar sei ihnen ein Fehler unterlaufen. Auch eine Schule wurde getroffen. Die einzige in Dhahyan. Bei dem Angriff am späten Abend kam niemand ums Leben. Die Zukunft von Schülern wie Hamza Ali aber wird so zerstört. Für den elfjährigen ist es eine schmerzhafte Erfahrung, an den Ort zurück zu kommen, an dem er mit seinen Kameraden über Jahre Unterricht hatte.
"Das war mein Klassenzimmer. Hier steht noch mein alter Schreibtisch", erzählt Hamza Ali. Er versteht den Sinn solcher Angriffe nicht. Hier seien keine Waffen, keine Kämpfer gewesen. "Auch das war ein Teil der Schule, der durch die Bomben völlig zerstört wurde. Alles auf einmal".
Eine Spur der Verwüstung durchzieht die Dörfer und Städte von Sadah, einer bergigen Provinz im Norden des Jemen. Es ist das Kernland der Huthi-Rebellen. Von hier aus starteten sie 2014 ihre Offensive Richtung Süden. In der Provinzhauptstadt sollen noch immer einige ihre Anführer leben. Angeblich sitzt hier auch der Geheimdienst. Bis zu 80 Luftangriffe täglich haben ganze Viertel verwüstet. Das aber habe die Moral der Kämper nur gestärkt, erklärt uns trotzig ein Armeesprecher.
"Sie waren bislang nicht in der Lage, im Norden Boden zu gewinnen. Eigentlich sollten sie ihre Lektion gelernt haben. Unsere militärischen Fähigkeiten werden besser, je länger ihre Angriffe dauern", so Aziz Aziz Rashed, Oberst jemenitische Armee.
Es wird lange dauern, um über den Verlust hinwegzukommen
Die Leidtragenden dieses gnadenlosen Krieges sind Zivilisten, vor allem Kinder. In die städtische Klinik werden jeden Tag bis zu 150 Patienten eingeliefert. Verletzte, Verstümmelte. Längst gibt es nicht genug Betten für alle. Mehr als 30 unterernährte Kinder werden hier notdürftig versorgt. Die Mütter können sie nicht stillen, weil sie selbst völlig entkräftet sind. Ins Krankenhaus kommen sie oft erst in letzter Sekunde. Denn die Behandlung kostet Geld. Für viele zu viel Geld.
"Es gibt immer mehr solcher Fälle, weil die Familien sehr arm sind und sich Medikamente wie Antibiotika nicht leisten können. Wir verschreiben dann manchmal alternative, günstigere Arzneimittel. Wegen des Krieges haben viele Menschen leider keine Arbeit und damit auch kein Geld", erzählt Mohammed Hussein Yehia, Leiter pädiatrische Abteilung.
Mahdi ist jetzt oft allein. Osama war sein bester Freund. Oft sind sie gemeinsam mit dem Fahrrad auf Tour gegangen. Das ist nun vorbei. Nach dem Luftangriff auf den Bus, in dem Osama saß. "Mit diesem Fahrrad ist Osama immer gefahren. Manchmal hat er es mir auch geliehen oder wir waren zu zweit unterwegs. Damit sind wir immer auch zum Grab des Großvaters gefahren, um gemeinsam zu beten", sagt Mahdi.
Es liegt ganz in der Nähe zu Osamas Grab. Familie und Freunde vermissen ihre aufgeweckten, fröhlichen Jungs. Es wird noch lange dauern, um über den Verlust hinwegzukommen.
Autor: Daniel Hechler/ARD Studio Kairo
Stand: 28.08.2019 04:31 Uhr
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