Mo., 16.11.15 | 04:50 Uhr
Das Erste
Kanada: Vancouver – Die grünste Stadt der Welt?
Karsten Schwanke: "Ich glaube das gibt es nur hier in Vancouver, dass man mit dem Linienbus, vorne dran sein Fahrrad transportieren lassen kann. Schräge Geschichte, habe ich so noch in keiner Stadt der Welt gesehen. Aber genau deshalb bin ich hier."
In Vancouver soll alles schnell gehen. Innerhalb von hundert Jahren wurde aus einem verschlafenen Goldgräbernest eine der am schnellsten wachsenden Städte.
Pro Rad, contra Auto! In den letzten fünf Jahren haben sie die Innenstadt großzügig mit breiten Fahrradstraßen ausgestattet. Die Autofahrer mussten eine Spur abgeben.
Der Hafen – wichtigste Einkommensquelle der Stadt, ändert sein Konzept und wird sauberer. In Rotterdam oder Hamburg wird noch diskutiert, Vancouver handelt. Kabel versorgen Kreuzfahrtschiffe mit Strom vom Land. Schiffsdiesel verpestet so nicht mehr die Luft, wenn die Ozeanriesen am Pier liegen.
'Saubere Energie' für Vancouver
Vancouver setzt voll auf erneuerbare Energien, vorwiegend Wasserkraft. Sie ist ein Steckenpferd von Ross Beaty. Der Unternehmer hat mit der Ausbeutung von Silberminen weltweit ein Vermögen gemacht. Doch irgendwann wurde ihm klar, dass die Ressourcen der Erde endlich sind. Inzwischen baut er sein drittes Durchfluss-Wasserkraftwerk. Das Besondere seiner Anlagen: Hier entstehen keine Staumauern, kein Stausee wird dieses Tal füllen. Das schont die Umwelt. Doch für Ross Beaty geht es um mehr, wenn er von 'sauberer Energie' spricht.
Ross Beaty, Unternehmer: "Für mich geht es bei 'Sauberer Energie' darum, ein erfolgreiches Unternehmen zu führen, Geld für meine Aktionäre zu machen, aber auch die richtige Form der Energieproduktion für unsere Welt zu realisieren. Jedes Megawatt, das wir mit 'Sauberer Energie' erzeugen ist ein Megawatt für das wir keine Kohle, kein Öl, kein Gas verbrennen müssen. Wir tun also etwas sehr Gutes für die Welt, für meine Kinder und für das Geschäft. So macht man 'Saubere Energie' erfolgreich, als Geschäft."
Stadtfarmen liefern Obst und Gemüse
Auf den ersten Blick kein gutes Geschäft ist es, auf dem teuersten Grund und Boden der Welt, hier in Downtown Vancouver, Radieschen zu züchten. Das Konzept klingt verrückt: Gemüse- und Obstproduktion auf einem Parkplatz des Olympiastadions von 2010. Die Stadtfarmer sind begeistert. Sie tragen die 'Grüne Idee' direkt in die City und zeigen, wie ökologische Nahrungsmittel entstehen. Weg von Massenproduktion und Pestiziden. Wir brauchen nicht nur Parks und Picknickplätze, sagen die Öko-Enthusiasten, gesunde Nahrungsproduktion ist mindestens so wichtig. Die Stadt unterstützt das Projekt. Die Kosten für die Pacht beträgt nur einen Dollar pro Jahr.
Die Erde für die Streetfarms kommt aus dieser neuen Kompostieranlage. Hier wird in großem Stil Biomüll wiederverwertet. Was für uns in Deutschland zum Alltag gehört - für Nordamerika ist es ganz neu. Der Kompost soll dazu beitragen, das immense Müllproblem zu lösen und die Müll-Deponien um über 50 Prozent zu entlasten. Doch erst seit diesem Jahr, seit 2015, wird der Müll in Vancouver überhaupt getrennt. Und so muss ich hier meinen Kaffee noch immer aus einem Wegwerfbecher trinken.
Verkehrsproblem nicht gelöst
Alles klappt aber noch nicht: Das Verkehrsproblem – längst nicht gelöst. Busse und Bahnen sind am Limit. Hier soll weiter investiert werden. Deshalb gab es dazu in diesem Jahr ein Referendum. Im Kern ging es darum, ob die Menschen bereit sind, 0,5 Prozentpunkte höhere Steuern zu zahlen – für neue Fahrradwege, U-Bahn-Trassen und Buslinien.
Karsten Schwanke: "Aber dieses Referendum, das für den Greenest City Actionplan total wichtig ist, das wurde von der Bevölkerung von Vancouver mehr als deutlich abgelehnt."
Ein Rückschlag, der zeigt, auch im fortschrittlichen Vancouver gibt es starke Kräfte, die sich gegen Veränderungen sträuben. Einer, der über den Tellerrand hinaussieht, prangt auf dieser Mauer der Berühmtheiten: David Suzuki, Träger des Alternativen Nobelpreises. Mit ihm bin ich in seinem Haus verabredet. Wo sieht er die Lösung: Bei den Klimakonferenzen oder lokalen Aktivitäten wie hier in Vancouver?
Vancouver grünste Stadt der Erde?
David Suzuki, Träger des Alternativen Nobelpreises: "Wir müssen auf lokaler Ebene anfangen. Hier haben wir Möglichkeiten. Wir hatten 21 Weltklimakonferenzen und nichts ist geschehen. Sie verhandeln über unsere Atmosphäre, die niemandem gehört, aus dem Blickwinkel von 195 nationalen Grenzen. Die Natur kümmert sich nicht um Staatsgrenzen. Wir können die Natur nicht ändern, sondern nur, was wir selbst erfinden. Warum vergöttern wir den freien Markt – Hallelujah – Der freie Markt ist nicht gottgegeben, er ist eine menschliche Erfindung."
Karsten Schwanke: "Dieser Urwald hier ist in Wirklichkeit der Stadtpark von Vancouver, Stanley Park. Die Geräusche aus der Stadt sind bis hier her zu hören. Downtown ist nur ein paar hundert Meter entfernt. Das zeigt, wie nah hier die Menschen auch im Alltag an der Natur sind."
Ob Vancouver die Nummer 1 wird, die grünste Stadt der Erde, ist letztlich egal. Aber mit dem Ziel: Null CO2-Emissionen. Null Abfall …
Autor: Peter Prestel und Karsten Schwanke
Stand: 10.07.2019 02:34 Uhr
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