So., 12.06.22 | 18:30 Uhr
Das Erste
Kanada: Von den Eltern getrennt – von Staat und Kirche getötet
Cecilia und ihre Tochter Deedee sind nach Kamloops gekommen, zum Powow, einer Gedenkfeier. Ein Jahr ist es her, dass hier anonyme Gräber von 215 indigenen Kindern gefunden wurden., Cecilia ist eine Überlebende. Sie war selbst jahrelang auf einem katholischen Umerziehungsinternat, nur drei Stunden entfernt in Williams Lake: "Ich weiß nicht, ob ich noch katholische sein will. Wie konnten sie uns das antun? Sie haben uns nicht wie Menschen behandelt, sondern wie Tiere ohne Gefühle."
Die Schule von Kamloops ist zum Symbol der Misshandlung indigener Kinder durch die Kirche geworden. Hier wurden die ersten Kindergräber gefunden, anonym begraben von Nonnen und Priestern. Hier wird jetzt aller Opfer gedacht.
Deedee erzählt uns, dass ihre gesamte Familie in den Schulen gelitten hat, ihre Mutter, ihre Tanten, ihre Onkel: "Alle, die auf diesen Schulen waren, hatten schreckliche Geschichten zu erzählen. Es gab Geschichten von Selbstmord, von verschwundenen Kindern., Geschichten von unerwünschten Schwangerschaften durch Priester."
"Umerziehung" für Indigene
1941, als Cecilia sechs Jahre alt war, wurden ihre Eltern unter Androhung von Strafe gezwungen, sie in diese Schule zu bringen, ein Umerziehungsinternat, wie sie sagt. Auf dem Gelände wurde jetzt mit einem Spezialradar nach Gräbern gesucht. Die Ergebnisse sind schockierend. Die Archäologin Whitney Spearing hat die Bodenuntersuchungen geleitet und präsentiert die Zahlen: "Wir haben 93 Reflektionen bei der St. Josephs Mission gefunden. Alle zeigen Eigenschaften, die auf menschliche Gräber hindeuten."
Generationen indigener Kindern wurden traumatisiert – unter der Obhut der Kirche. Ihren Eltern drohte Gefängnis, wenn sie ihre Kinder nicht freiwillig in die kirchlichen Internate brachten. Der Staat wollte mit Hilfe der Kirche ihre Sprache auslöschen, ihre Kultur zerstören. Mehr als 130 solcher Schulen gab es.
Im ganzen Land gab es diese Schulen. Auch hier in Alexis Creek, nur 100 Kilometer entfernt, wurden auch Kinder gequält. Chief Joe, das indigene Oberhaupt der Chilcotin: "Immer wenn eine junge Frau durch den sexuellen Missbrauch schwanger wurde, kamen die Babys hier zur Welt. Die Nonnen waren bei ihnen, töteten die Babys und haben sie hier beerdigt, irgendwo hier."
Kanadas Premierminister Justin Trudeau würdigt jetzt in Kamloops alle Opfer der Umerziehungsinternate. Bei der Gedenkfeier ist er ein willkommener Gast. Er will die Zeit der Versöhnung einleiten. Viele indigene Anführer halten Trudeau für glaubwürdig, auch Dee und Cecilia.
Die Versöhnung wird für ganz Kanada eine große Aufgabe, als nächstes steht die Entschuldigung des Papstes an; der will in wenigen Wochen persönlich vorbeikommen.
Autorin: Christiane Meier, ARD New York
Stand: 12.06.2022 19:59 Uhr
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