So., 12.06.22 | 18:30 Uhr
Das Erste
Sri Lanka: Vor dem Bankrott?
Frühmorgens in der Lagune von Negombo. Riyurin Fernando auf einer seiner immer seltener werdenden Fahrten hinaus aufs Meer. Seit mehr als 40 Jahren lebt er von der Fischerei. Nun aber steht er vor existentiellen Sorgen: “Wir haben in diesem Monat so gut wie gar kein Einkommen. Und das ist schon der zweite Monat in Folge. Es gibt hier ungefähr 100 Fischerboote - in letzter Zeit gingen meist nur noch etwa zehn aufs Wasser. In den vergangenen Tagen war dann sogar kein einziges Motorboot mehr draußen.”
Das liegt vor allen Dingen daran, dass weder Benzin noch Kerosin verfügbar sind. Ein Problem, das so gut wie alle Menschen in Sri Lanka betrifft und die Fischer vor besonders große Probleme stellt. Denn nur auf dem offenen Meer tummeln sich die größeren Fische - hier, kurz vor der Küste, ist ihnen nur ein einziges Tier ins Netz gegangen.
Kein Treibstoff – keine Fische
An der Wassertankstelle reihen sich die Boote auf. Die gleiche Situation herrscht auch an Land. Die Fischer hoffen auf neue Benzinlieferungen. Doch seit dem Krieg in der Ukraine, sind die Weltmarktpreise für Öl deutlich gestiegen. Sri Lanka kann sich den Import kaum mehr leisten. Nur sporadisch gibt es deshalb Nachschub.
In den vergangenen Wochen kam es deshalb zu Protesten und gewaltsamen Auseinandersetzungen. Für die Krise machen viele die in der Regierungsverantwortung stehende Rajapaksa-Familie verantwortlich. Während Premierminister Mahinda Rajapaksa inzwischen zurückgetreten ist, weigert sich sein Bruder Gotabaya das Amt des Präsidenten aufzugeben. Experten warnen vor einem möglichen Staatsbankrott - denn Sri Lanka hat inzwischen über 50 Milliarden US Dollar Schulden.
Die Inflation ist zuletzt rasant angestiegen, die Menschen können sich lebensnotwendige Dinge kaum mehr leisten. Aus der Wirtschaftskrise sei längst auch eine Lebensmittelkrise geworden.
Darunter leidet auch der Tourismus. Gerade erst hatte sich die Branche ein wenig von der Corona-Pandemie erholt, schon erreicht sie die nächste Krise. An der malerischen Westküste Sri Lankas stehen die Hotels weitestgehend leer. Hier im Ekho Hotel am Strand von Bentota sind gerade einmal acht von 90 Zimmern belegt, erzählt Manager Nishantha Unuwita: "Diese Krise trifft uns in Sri Lanka sehr. Aber jetzt wegen dieser Situation aufzugeben, kommt für uns nicht in Frage. Was wir tun müssen, ist trotzdem Gäste zu uns zu lotsen."
Während viele kleinere Hotels kaum mehr an Lebensmittel kommen, hat man hier noch Glück im Unglück. Großlieferanten sorgen noch recht zuverlässig dafür, dass die Küche weiterarbeiten kann. Notstrom hilft dabei, dass die Gäste die Auswirkungen der Krise kaum zu spüren bekommen.
Mangel an Medikamenten
Der Mangel an existentiellen Gütern zeigt sich an vielen Orten. Selbst im Krankenhaus, in dem Indra Kulathilaka als Kinderärztin arbeitet. Nur noch einige wenige Medikamente sind auf Lager. Sie glaubt nicht daran, dass sie noch lange reichen werde: "Die Situation macht mich sehr traurig. Wer weiß, was mit den Kindern passiert, wenn wir ihnen keine Medikamente mehr geben können. Es können zum Beispiel keine Studien mehr durchgeführt werden. Ich will erst gar nicht daran denken."
Die katastrophale wirtschaftliche Lage im Land hat auch Auswirkungen auf den Arbeitsalltag der Ärztin, Schwestern und Helfern. Früher konnten sie hier noch Nachtdienste auf Rufbereitschaft ausüben. Das geht heute nicht mehr - das Taxi zur Klinik ist für sie zu teuer geworden. Ihr Büro wird zum Schlafzimmer.
Aufgrund der sich immer weiter verschärfenden Situation gehen die Menschen seit mehr als zwei Monaten auf die Straßen. Riyurin Fernando will so lange demonstrieren, bis es ihm und den Menschen in Sri Lanka endlich wieder besser geht.
Autor: Oliver Mayer, ARD Neu Delhi
Stand: 12.06.2022 19:58 Uhr
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