So., 26.06.22 | 18:30 Uhr
Das Erste
Kanada: Landwirte am Limit
Julia hat einen Plan: Sie will Ranchern helfen, die wie ihre Freundin Rhonda im letzten Sommer zu Klimaopfern wurden, als ihre Weiden in Flammen aufgingen. An diesem Nachmittag ist die Welt der beiden Rancherinnen ziemlich in Ordnung, sie treiben Rinder zusammen, um sie auf eine andere Weide zu bringen – ein Highlight im harten Leben auf dem Land. "Es ist wie Mini-Ferien. Die Leute zahlen richtiges Geld dafür, das machen zu dürfen. Wir haben Glück in dieser Beziehung. Das ist unsere Therapie. Wenn man einen guten Tag wie diesen hat, mit Freunden und bei gutem Wetter, dann gibt das Kraft zurück", sagt Julia.
Der Schock sitzt immer noch tief
In solchen Momenten vergessen sie kurz die Sorgen um ihre Existenz. Hitzewelle, Waldbrände, Überflutungen, sie mussten letztes Jahr mit allem klarkommen. Rund um Rhondas Ranch am Fluss brannten alle Bäume ab. 90 Tage später kam die Überschwemmung, die Ranch stand vor dem Untergang. Mit ihrem Mann Wayne hat Rhonda erst den Waldbrand und dann das Wasser durchgestanden. Jetzt zeigen die beiden uns die Verwüstung, sie haben alles dokumentiert.
"Insgesamt haben wir 37 Rinder eingebüßt, 20 Prozent unserer Herde. Mit der Flut war es noch viel katastrophaler. 32 Hektar Heuwiese sind unbrauchbar. Das Land ist zwar noch da, aber unter einem Meter Schlamm. Und 450.000 Dollar an Zäune sind weg, alles den Fluss runter", erzählt die Rancherin und Wayne ergänzt: "Das war katastrophal, jenseits von allem, das ich je gesehen habe. Und so schnell, es ist überwältigend. Ich habe zwar keine schlaflosen Nächte, ich frage mich immer, was ist der nächste Schritt. Wir habe viele Tränen vergossen. Wir hatten schwere Momente. Aber dann beißt du die Zähne zusammen, nimmst den Kopf runter und setzt einen Fuß vor den anderen. Wir haben noch viel vor uns."
Redge soll helfen, die seelischen Nöte zu bearbeiten. Julia hat ihn eingeladen, weil sie weiß, dass sich hinter der tapferen Fassade von Rhonda und Wayne auch Ängste verbergen. Normalerweise unterrichtet Redge, Sicherheitstraining, seit neuestem versucht im Auftrag der Regierung auch psychologische Hilfe anzubieten, ohne Tabu und Stigma. Von Cowboy zu Cowboy. "Was wir wirklich lernen mussten, ist loszulassen, was wir hatten. Es ist weg und kommt nicht wieder. Als wir das verstanden hatten, wurde alles leichter. Wir haben dem nicht mehr nachgeweint", sagt Rhonda.
Für die Männer ist es besonders schwer, ihre Gefühle zu zeigen. Cowboys jammern nicht. Beim Spaziergang über die verwüstete Ranch versucht Reg deshalb geduldig, Wayne zum Reden zu bringen. "Wie geht es dir innerlich, wie gehst du damit um?", fragt er und Wayne antwortet: "Ich drehe einfach die Musik von Codie Jinks voll auf. Ja, ich hatte harte Tage, ich habe geweint." "Das ist ok, auch wenn du deiner Frau sagst, ich glaube ich kann nicht mehr, ich komme gar nicht mehr aus dem Bett. Wir können dieses Stigma vergessen und müssen nicht wie zwei Möchtegern-Machos reden. Es ist ok zu weinen", sagt Redge.
Psychische Gesundheit rückt in den Fokus
Als das Feuer im letzten Sommer kam, mussten Rhonda und Wayne nicht nur um ihre Ranch fürchten, sondern auch ihr Leben. Der Klimawandel ist hier schon seit Jahren spürbar, die Folgen existenzbedrohend. "Das Problem geht nicht weg, es wird schlimmer. Und genauso wie wir das Ufer gegen die Überschwemmung mit Felsen befestigen, müssen wir auch Zeit und Geld investieren, damit die Menschen, die uns ernähren, morgens aus dem Bett kommen", erklärt Julia.
Reg bietet in der Region auch kleine Seminare für Farmer an. Beim Sicherheitstraining für Chemikalien und landwirtschaftliche Geräte steht neuerdings auch psychische Gesundheit auf dem Programm. Sie sollen lernen, dass Wut, Trauer und Angst angesichts der Klimabedrohung normal sind und Hilfe bereit steht. "Da draußen warten große Herausforderungen: emotionale, körperliche und finanzielle. Es ist wichtig, Hilfe bereitzustellen und zu ihnen zu sagen: Weißt du was? Du bist wichtig und du zählst."
Ein weiterer Stressfaktor für Rhonda und Wayne ist das Wohlbefinden der Tiere. Während der Hitzeperiode mussten die Pferde bis zur Erschöpfung arbeiten, um die Rinder aus den Hügeln zu retten. Das schweißt zusammen und hilft dabei, die innere Ruhe wieder herzustellen. "Wenn es um den Seelenzustand geht , es gibt da eine enge Beziehung zum Pferd. Mein Garten ist der Busch, dafür braucht man einen guten Partner", sagt Wayne und Rhonda fügt hinzu: "Wir brauchen die Pferde für die Rinder und was den Seelenfrieden betrifft: Ohne sie ginge es gar nicht."
Julia hat sich vorgenommen, auch anderen zu helfen, nicht nur ihrer Freundin Rhonda. Sie wird weiter dafür werben, dass alle Rancher:innen und Farmer:innen professionelle Hilfe bei der Trauma- Bewältigung annehmen. Für die beiden Cowgirls ist das so selbstverständlich wie ihre Freundschaft.
Autorin: Christiane Meier/ARD New York
Stand: 26.06.2022 21:00 Uhr
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