So., 13.10.19 | 19:20 Uhr
Das Erste
Kanada: Grüner Gegenwind: Trudeau im Wahlkampf
Warten auf Trudeau. Der Wahlkampf treibt den kanadischen Premierminister in den äußersten Norden, nach Nunavut, seine Kandidatin muss hier gewinnen.
Im Norden steigen die Temperaturen dreimal so schnell
Der Wahlkreis von Megan Pizzo-Lyall ist sechs Mal so groß wie Deutschland und hat einen Sitz im Parlament. Auch hier überbringt Trudeau seine Klima-Botschaft. "Anders als die Konservativen glauben wir, dass der Klimawandel ein wirklicher Notstand ist. Alle indigenen Gemeinden sollten bis 2030 keinen Diesel mehr benutzen, sondern saubere Hydroenergie", sagt Justin Trudeau. In der Hauptstadt Iqualuit spürt man den Klimawandel besonders, denn die Temperaturen steigen im Norden dreimal so schnell. Eigentlich sollte jetzt Schnee liegen, stattdessen 5 Grad plus.
Die alten Inuit, die Elders, freuen sich, dass auch Trudeaus Tochter Ella-Grace und Sohn Xaviere dabei sind. Viele hier kennen Trudeau seit er selbst ein Kind war und mit seinem Vater, dem damaligen Premier zu Besuch kam. Vor der Türe gibt es selbstgemachte Fischsoße und ein Küsschen. Ein Heimspiel.
"Es ist so wichtig, dass der Premierminister und die Liberalen die Themen des Nordens wichtig nehmen. Wir sehen sehr viel Unterstützung von der Regierung. Dafür sind wir dankbar", so K. Megan Pizzo-Lyall, Kandidatin Liberale.
Im Amt des Premiers zeigt Trudeau unerwartete Schwächen
Ob das genügt, um den Gegner der konservativen Partei Andrew Scheer zu schlagen, ist unklar. Der 40-jährige Konservative hat seine Partei weit nach vorne gebracht. Und das mit der entgegengesetzten Botschaft zum Klimawandel. Er will die CO2-Steuer sofort abschaffen. In der Debatte der Parteichefs greift er den Premier frontal an. "Die CO2 Steuer macht alles teurer, Benzin, Heizung und Lebensmittel. Sie wird nach der nächsten Wahl steigen. Er weigert sich, zu sagen, wie hoch die Steuer noch wird. Meine konservative Regierung würde die Steuer abschaffen", sagt Andrew Scheer.
Trudeau ist angreifbar, er zeigte im Amt des Premiers unerwartete Schwächen. Im Lavalin-Skandal um eine Baufirma aus Montreal hat er die ethischen Regeln gebrochen, die Finanzministerin gefeuert und die Justizministerin ebenso. Alles, um Arbeitsplätze zu erhalten.
Dann wurden Fotos öffentlich, auf denen sich ein junger Trudeau vor 19 Jahren als Aladin verkleidet hatte, Gesicht und Hände geschwärzt. Viele Kanadier empfinden das als rassistisch. Immer wieder muss er sich entschuldigen.
"Sorry, dass ich Euch verletzt habe, und Kinder, die wegen ihrer Hautfarbe gehänselt und diskriminiert werden. Das ist nicht richtig", so Justin Trudeau.
Andrew Scheer hofft, mit Trudeaus Schwächen punkten zu können und schaltet auf Angriff. Er sei ein: "Schwindler, ein Betrüger, der nicht verdiene, das Land zu regieren", so Andrew Scheer.
Keine Partei wird die absolute Mehrheit erreichen
In ganz Kanada sind derzeit 60 von 338 Wahlbezirken hart umkämpft. Womöglich wird keine Partei die absolute Mehrheit erreichen. Besonders die Grünen nehmen Trudeau Stimmen weg. Im Bezirk Muskoka, nördlich von Toronto, ist neben der Wohnungsnot vor allem der Klimawandel ein Riesenthema. Gerade wird im Ort Bracebridge die unterspülte Brücke repariert. Folge der letzten Überschwemmung im Frühjahr. Scott von der örtlichen Naturschutzorganisation zeigt uns, wie es hier noch vor wenigen Monaten aussah.
"Das Wasser kam hier runter, man hat die Felsen nicht mehr gesehen", so Scott Young, Nature Conservancy Muskoka.
Das kanadische Fernsehen berichtete tagelang, nicht nur über die Überschwemmung hier, am Muskoka Fluss. In anderen Seengebieten von Ontario und Quebec war die Flut noch dramatischer.
"Bis vor kurzem hätte man das ein Jahrhundertereignis genannt. Aber jetzt ist es schon dreimal in den letzten 20 Jahren und zweimal in den 5 Jahren passiert. Es wird häufiger", so Scott Young, Nature Conservancy Muskoka.
Beim Wahlkampf sind Trudeaus Kinder dabei
Abends zur Klimadebatte, die in 100 Wahlkreisen gleichzeitig stattfindet, volles Haus. Hier in Bracebridge, Muskoka liegen die Grünen weit vorne, weil sie radikalere Konzepte vorschlagen. "Der Klimanotstand ist die wahre Bedrohung für die Zukunft unserer Kinder und Enkel", so Gord Miller, Grüne. Aber jede Stimme für die Grünen fehlt hier den Liberalen.
"Wir dürfen keine Schritte zurück machen, indem wir konservativ wählen. Unsere beste Chance, den Klimawandel zu bekämpfen ist sonst vertan", sagt Trisha Cowie, Liberale.
Kanada liegt mit seiner Klima-Steuer mit derzeit 20 Dollar pro Tonne zwar weit vorne, aber auch hier wird viel zu viel CO2 durch Öl und Kohle in die Luft geblasen. Im Wahlkampf sind diesmal Trudeaus Söhne Xavier und Hadrien dabei, die Generation Klimakrise.
Als Symbol für die geplante Aufforstung dient der Ahorn, Kanadas Wahrzeichen. Zwei Milliarden Bäume will Trudeau pflanzen lassen, die Grünen versprechen noch mehr: 10 Milliarden bis 2050.
Auch hier in Ontarios Osten soll der liberale Kandidat unterstützt werden. Mike Bossio ist stolz auf letzten vier Jahre und setzt auf den Trudeau- Faktor. "Er hat für Kanadier auf dem Land mehr getan als jeder vor ihm. Er hat geliefert, er redet nicht nur, er handelt. Er ist hier, weil es ihm wichtig ist", so Mike Bossio, Liberale.
Aber es geht nicht nur um Lokalpolitik. In Kanada wird auch darüber entschieden, ob die Welt einen Kämpfer für das Pariser Klimaabkommen behält oder verliert. "Die Wahl könnte nicht klarer sein. Ich vertraue den Kanadiern", so Justin Trudeau.
Ist das Pfeifen im Wald oder werden sie Justin Trudeau noch einmal wählen? Es ist knapp.
Autorin: Christiane Meier / ARD Studio New York
Stand: 13.10.2019 20:25 Uhr
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