So., 13.10.19 | 19:20 Uhr
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Polen wählt
Abgewehrt! Mateusz Malicki trainiert Nahkampf. Sich verteidigen zu können, ist dem 27-Jährigen wichtig. Er fühlt sich jetzt sicher in Polen, aber die Konfrontation habe zugenommen.
Polens Jugend ist politisch gespalten
"Die Spaltung fällt überall auf, dass es zwei Seiten gibt. Die Umfragen sagen doch alles. Oft kommt es zu Situationen, wo das eine gegen das andere Lager auftritt. Das läßt sich nicht vermeiden. Viele Menschen bereuen das und würden sich lieber vesöhnen, aber die Lawine hat kein Ende", so Mateusz Malicki, Call-Center-Schichtleiter. Mateusz Malicki lebt in Bydgoszcz, eine Stadt im Westen Polens. Eine Stadt mit 350 Tausend Einwohnern, geprägt durch Industrie, Handel und die Binnenschiffahrt. Politisch eher links-liberal. Aber auch die rechtskonseravtive PiS hat unter jungen Menschen hier ihre Anhänger.
Der junge Pole managt in diesem Callcenter den Verkauf von Versicherungen. Die Wirtschaft läuft gut, deshalb haben die Menschen auch Geld dafür, meint er. Mateusz Malicki ist überzeugter PiS-Wähler.
"Das ist der PiS-Regierung zu verdanken, dadurch, dass sie die Wirtschaft unterstützt, Zusammenarbeit bietet und den freien Markt entwicklelt", sagt Mateusz Malicki.
Joanna wünscht sich eine menschenfreundlichere Politik
Joanna Tietze hält überhaupt nichs von der jetzigen Regierung. Die 25-Jährige kellnert, um sich damit ihr Psychologie-Studium zu finanzieren. PiS ist für sie keine Wahl, schon aus persönlichen Gründen. "Viele meiner Bekannten sind homosexuell und ich bin nicht damit einverstanden, dass Homosexuelle zum Werkzeug im politischen Kampf werden und die Polen voneinander entzweit. So sichert sich die PiS mehr Stimmen", sagt Joanna Tietze.
Ihre Stimme wird sie wohl der Bürgerkoalition KO geben. Sie wünscht sich eine menschenfreundlichere Politik. Von den Sozialversprechen der Regierunsgpartei hält sie nicht viel.
"Mit der nächsten Reform wollen sie den Mindestlohn anheben, doch das wird doch mit höheren Steuern ausgeglichen. Wir werden das so empfinden, dass generell die Preise steigen, Brot und andere Lebensmittel werden teurer. Kinderreiche Familien freuen sich über "500 plus", das Kindergeld, sehen aber die Kehrseite nicht, dass daduch die Steuern steigen und die Preise", so Joanna Tietze.
Mateusz Malicki sieht das ganz anders. Er findet die finanzielle Unterstützung für Familien genau richtig. "Für alle Jugendlichen bis 18 gibt es das Kindergeld "500 plus", umgerechnet 125 Euro, das finde ich gut für kinderreiche Familien. Dann die Aufhebung der Steuerpflicht für unter 26-Jährige. Das ist eine Finanzspritze, die in die Wirtschaft zurückkehrt."
Kirchlicher Einfluss auf die Politik
Joanna genießt die liberale Atmosphäre ihrer Heimatstadt Bydgoszcz. Im Kino läuft gerade ein Festival mit politkritischen Filmen, wie diesem hier: Er erzählt von denen, die gegen die Regierung protestieren. "Die PiS-Regierung versucht uns eng mit der katholischen Religion und der Kirche zu verbinden. Es wäre besser, wenn man die Religion in Ruhe lassen würde und die Politik ebenso. Jede Seite soll ihren Weg harmonisch nebeneinander gehen, aber nicht als Einheit", sagt Joanna Tietze. Der kirchliche Einfluss auf die Politik bestimmt auch das Frauenbild, findet sie.
"Die PiS will die Abtreibung komplett verbieten. Damit bin ich nicht einverstanden als Frau, als vielleicht künftige Mutter und als Person ,die viele Mütter kennt. Ich bin der Auffassung, dass jede Frau das Recht haben soll, über ihren Körper selbst zu entscheiden", findet Joanna Tietze.
Politische Gespräche sind bei Mateusz Malicki und seinen Freunden meist tabu. Denn in der Szenekneipe wird eher gedaddelt oder einfach mal entspannt Karten gespielt. Für Mateusz ist die Zukunft mit der PiS eine Gute.
"Ich fühle mich als Europäer, das ist für mich kein leerer Slogan. Kulturelle Vielfalt und Toleranz, dazu gehört aber auch, die eigene Geschichte zu respektieren", so Mateusz Malicki.
Freier Tag für Joanna und ihren Freund. Bydgoszcz im Wahlkamfmodus. In den Umfragen führt die Regierungpartei.
"Wenn es so weitergeht, werden wir uns wohl von der EU entfernen, es sei denn, es kommen kluge Köpfe, die diese Entwicklung stoppen können", so Joanna Tietze.
Spannende Zeiten für junge Polen auf dem Weg in die Zukunft.
Autor: Olaf Bock / ARD Studio Warschau
Stand: 13.10.2019 20:25 Uhr
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