Mo., 14.05.18 | 04:50 Uhr
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Kenia: Frauen gegen Terrorismus
"Wenn die Polizei irgendwo Terroristen vermutet, reagieren sie harsch und fangen sofort an, Leute zu töten." Fatuma Shafi weiß, wovon sie spricht. Ihr Mann, selbst ein Polizist, wurde von Kollegen erschossen, weil er nach seinem Sohn im Umfeld der der islamistischen Al Shabaab suchte um ihn zurückzuholen.
Als Moslems stehen sie hier im Süden von Kenia unter Generalverdacht. Dabei sind auch sie Opfer des islamistischen Terrors. Gleich doppelt Opfer, denn sie trifft die staatliche Willkür zusätzlich. Sabine Bohland (ARD-Studio Nairobi) hat Frauen begleitet, die sich selber helfen und den Teufelskreis zu durchbrechen versuchen.
Gemeinsam Seife machen. Für den Lebensunterhalt und als Therapie. Die Frauen sind Opfer der Terrorgruppe Al Shabaab. Sie wurden von den Islamisten entführt und missbraucht. Oder Familienmitglieder haben sich den Terroristen angeschlossen. "Das, was andere getan haben, hat uns zu Feinden in der Gesellschaft gemacht", sagt Time Mohammed. "Sie nennen mich ‚Al Shabaab‘. Nur, weil zwei meiner Brüder sich denen angeschlossen haben…" Schmerz über den Verlust. Stigmatisierung durch die Nachbarn. Und keine Hilfe vom eigenen Staat oder der Polizei.
Hartes Durchgreifen der Polizei
"Wenn die Polizei irgendwo Terroristen vermutet, reagieren sie harsch und fangen sofort an, Leute zu töten" sagt Fatuma Shafi. "Vor allem, wenn sie denken, dass ein junger Mann zu Al Shabaab gehört. Deswegen werden viele nicht angezeigt, auch wenn sie schuldig sind." Fatuma Shafi weiß, wovon sie spricht. Ihr Mann, selbst ein Polizist, wurde von Kollegen erschossen, weil er nach seinem Sohn suchte. Der 14-jährige war verschwunden, vermutlich nach Somalia zu Al Shabaab.
Die Terrorgruppe verübt im Heimatland und in Kenia blutige Anschläge mit hunderten Verletzten und Toten. Die Islamisten wollen sich damit auch an Kenia rächen, das die somalische Regierung im Kampf gegen Al Shabaab unterstützt. Die Terroristen aus Somalia rekrutieren ihre Kämpfer auch an der kenianischen Küste, wo Touristen aus aller Welt Urlaub machen. Radikalisierung ist hier ein massives Problem. Die Polizei antwortet mit Gewalt. Viele Kenianer trauen sich gar nicht, eine Polizeistation zu betreten. Aus Angst, selbst verdächtig zu erscheinen.
Die Bevölkerung misstraut der Polizei
Es hat uns viel Überzeugungsarbeit gekostet, hier drehen zu dürfen. Officer Biberone Ganguma hat sich schließlich bereit erklärt. Polizistin, sagt sie, wurde sie, um für die Gesellschaft da zu sein, nicht gegen sie. Ihr Büro in Mombasa ist eine Anlaufstelle für viele, vor allem Frauen. Ich verspreche ihnen, mich um ihr Problem zu kümmern, versichert sie. Eigentlich selbstverständlich, aber nicht in Kenia. Polizisten haben eher das Image des Feind und Schlägers als das des Freund und Helfers. Oder sie lassen sich für Gefälligkeiten bezahlen. Officer Ganguma versucht, eine Polizistin auf Augenhöhe zu sein. "Es klafft eine große Lücke zwischen uns als Polizei und der Bevölkerung. Manchmal kommen Opfer hierher und haben Informationen, aber sie fürchten sich, die Informationen preiszugeben. Sie fürchten, zu Hause als Verräter abgestempelt zu werden. Sie fürchten sich aber auch vor der Polizei."
Fatuma Shafi hat keinerlei Unterstützung von der Polizei bekommen, nachdem ihr Mann erschossen wurde. Sie hält ihre Familie mit dem Verkauf von Gebäck über Wasser. Und sie engagiert sich in ihrer Gemeinde. Als Friedensbotschafterin. "Wenn die Polizei etwas will, dann sollten sie sanft sein, so als ob man ein Baby beruhigt. Verhaftungen und Gewalt schüren nur Hass. Wir wollen den Hass loswerden. Wir möchten freundlich sein." Das sagt die Frau, deren Mann vor ihren Augen von Kollegen getötet wurde. Und die ihr Kind an eine Terrorgruppe verloren hat. "Sie haben mir irgendwann gesagt, dass mein Sohn tot sei. Ich habe meinen Frieden damit gemacht, denn wenn er zurückgekommen wäre, hätte er andere möglicherweise schlecht beeinflusst."
Kampf gegen den Hass
Trotz oder vielleicht wegen ihrer schrecklichen Geschichte will Fatuma Shafi gegen den Hass kämpfen. Und geht dabei einen außergewöhnlichen Weg. Sie hat sich mit Polizistin Biberone Ganguma und anderen Friedensbotschafterinnen zusammengetan. Gemeinsam wagen sie sich in ein Viertel, in dem Al Shabaab besonders aktiv ist. Die Polizei-Uniform sorgt zunächst für Skepsis. Eine Frau beschwert sich, dass sie ständig von Polizisten belästigt würden. Aber auch von Banden, die ihr Unwesen treiben. Die Polizistin wirbt dafür, dass die Frauen so etwas doch direkt ihren Kollegen melden sollten. "Es sind Menschen wie ihr auch. Sie werden euch verstehen." "Es ist gut, dass sie gekommen ist", sagt eine Frau. "Viele von uns hatten erst Angst. So ist es leichter für uns, unsere Sorgen loszuwerden. Ganz anders, als auf eine Wache gehen zu müssen." Darauf setzt die Polizei an der kenianischen Küste jetzt immer mehr. Zu den Menschen gehen. Zuhören, nicht zuschlagen.
Officer Ganguma ist eine Ausnahmepolizistin – eigentlich immer im Dienst, auch wenn sie Frühstück für ihre drei Kinder macht. Trotz aller Schwierigkeiten: aufgeben kommt für sie nicht in Frage. "Salz ist in jedem Essen nötig. Sonst schmeckt es nicht. Als Polizistin bin ich Salz für die Bevölkerung. Als Frau bin ich Salz für die Gesellschaft. Polizei und Frauen sind unverzichtbar. Es geht nicht ohne uns." An die Kraft der Frauen glaubt auch Fatuma Shafi. Sie und ihre Freundinnen aus der Therapiegruppe feiern heute die Geburt eines Mädchens. Bis Polizisten gemeinsam mit ihnen, den Opfern von Terror und staatlicher Willkür tanzen werden, dauert es sicher noch. Vielleicht in der nächsten Generation.
Stand: 03.08.2019 11:17 Uhr
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