So., 05.07.20 | 19:20 Uhr
Das Erste
Kenia: Rasanter Rollstuhl aus Schrott
Jeder Handgriff sitzt. Geübt schraubt Lincoln Teile zusammen. Fast jedes einzelne stammt vom Schrottplatz. Kaum zu glauben, dass daraus ein Rollstuhl werden soll. Nur der Stoßdämpfer ist neu. Er wird normalerweise in Motorrädern verbaut.
Rollstühle als umweltfreundliche Alternative
"Der Stoßdämpfer kommt hierhin. Unsere Straßen in Kenia sind eine Katastrophe. Normale Rollstühle brechen, wenn sie durch die Schlaglöcher fahren. Dieser Rollstuhl hat kein Problem damit. Er federt das alles ab und hält ewig", erklärt Lincoln Wamae, Autodidakt. Und genau darauf kommt es seinen Kunden an: Katie Syokau leidet an der Glasknochenkrankheit. Die Ärzte diagnostizierten ihr eine Lebenserwartung von höchstens 18 Jahren. Sie ist gerade 29 geworden und hat sich ein eigenes Leben aufgebaut.
Jetzt möchte sie noch unabhängiger werden und nicht mehr auf überfüllte Großraumtaxen angewiesen sein. Gerade jetzt in Zeiten von Corona ist das gefährlich. Ihr erster Rollstuhl kam aus China, der zweite aus der Türkei. Ständig muss er in die Werkstatt.
"Die ursprüngliche Batterie, die in diesem Rollstuhl war, konnte man noch nicht einmal anheben. Als Lincoln seine einsetzte, waren alle überrascht, wie leicht sie war. Lincoln hat Gott geschickt, er ist wunderbar. Und mit seinem Rollstuhl 'Made in Kenya' könnte ich sogar lange Strecken fahren und brauchte keine Sammeltaxen mehr. Ich wäre unabhängig", sagt Katie Syokau.
Noch hat sie die 1.000 Euro nicht, doch Katie will schon mal Probe fahren. Ihr ist etwas mulmig. Lincolns Rollstuhl ist sehr schnell. Schließlich ist er dafür gedacht lange Entfernungen zurückzulegen. "Ich habe zwar tierische Angst, aber der Rollstuhl ist großartig", sagt Katie Syokau.
Saubere Energie für Kenia
Anfangs hat Lincoln, als passionierter Fahrradfahrer, Fahrräder repariert. Dann begann er ganze Lastenfahrräder zu bauen und irgendwann wurden daraus Rollstühle. "Ich habe immer wieder beobachtet, wie sich Menschen mit Behinderungen in Nairobi durchkämpfen müssen, um überhaupt von Minibussen mitgenommen zu werden. Das hat mich sehr berührt. Ich wollte ihnen was eigenes bauen", erzählt Lincoln Wamae.
Doch wie? Ohne Schulabschluss und Handwerksausbildung? "Ich habe alles von diesem Typen gelernt. Er heißt Electroboom. Ich liebe seine Videos. Es erklärt jedes Detail und man versteht alles, selbst die schwierigsten Dinge. Ein super Lehrer", sagt Lincoln Wamae.
Und so baute der 29-Jährige Autodidakt in seiner winzigen Werkstatt – auf vier Quadratmetern – seinen Prototypen. "Das sind Batterien aus Laptops – selbst aus den kaputten. Meine Vision: Ich will, dass immer mehr Menschen in Kenia grün denken und saubere Energie nutzen. Also gehe ich als Vorbild voran", so Lincoln Wamae.
Große Hoffnung für die Zukunft
Unermüdlich baut er an seinen Rollstühlen und hofft, dass daraus eine ganze Industrie entsteht. "Mein großer Held ist Elon Musk. Ich wünschte er käme nach Kenia, um hier Autos zu bauen. Wenn ich mir ein Auto kaufen würde, dann nur einen Tesla. Aber so lange das nicht hinhaut, baue ich mein eigenes", sagt Lincoln Wamae. Lincoln will seinen Landsleuten klar machen, dass grüne Ideen nicht nur was für die reiche Mittelklasse sind, sondern auch für die Menschen in den Slums und in den Dörfern. Katie kann es kaum erwarten, eines Tages Lincolns Rollstuhl fahren zu können. Gerade jetzt in Zeiten von Corona ist es ihr unangenehm, dass andere sie in das Matatu, das Großraumtaxi tragen müssen. Sie hat Angst sich anzustecken.
"Ich bin natürlich anfällig. Wenn jemand, der mir hilft oder mir nah kommt, das Virus hat, könnte ich mich sofort anstecken. Im Augenblick steht meine Sicherheit an erster Stelle", so Katie Syokau.
Daher würde Katie lieber unabhängig sein. Doch bis sie das Geld für den neuen Rollstuhl zusammen hat, wird sie auf andere angewiesen sein. Und das ist in diesen Zeiten ziemlich riskant.
Autorin: Birgit Virnich / ARD Studio Nairobi
Stand: 05.07.2020 20:00 Uhr
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