Mo., 07.03.16 | 04:50 Uhr
Das Erste
Kolumbien: Frieden für ein geschundenes Land
Sie nennen sich "Revolutionäre Streitkräfte Kolumbiens" – kurz FARC – und sind die älteste Guerilla-Bewegung Lateinamerikas. Was 1964 als Kampf gegen den kolumbianischen Staat begann, verwandelte sich in einen 52-jährigen schmutzigen Bürgerkrieg. Aus einer revolutionären Bewegung wurde ein kriminelles Kartell, das sich mit Drogenhandel, Erpressung und Entführungen finanzierte.
Die Auseinandersetzung zwischen FARC, rechten Paramilitärs und dem kolumbianischen Militär hat Tausende Menschenleben gefordert und Millionen von Bürgern aus ihren Dörfern vertrieben. Jetzt besteht Hoffnung auf ein Ende der Kämpfe. Noch im März will die kolumbianische Regierung einen Friedensvertrag mit der FARC schließen. Ihre Kämpfer sollen wieder in ein ziviles Leben zurückgeführt werden. Eine Reportage von ARD-Korrespondent Peter Sonnenberg (ARD Mexiko).
Pascuala Palacios zählt ihre Toten. Auf 28 Familienmitglieder wird sie kommen, die in der Kirche ihres Dorfes Bellavista von einer Bombe der FARC-Guerilla getötet wurden. Ihr Mann Wilson und Sie rannten weg, als die FARC Kämpfer hier eine Einheit der verfeindeten Paramilitärs bombardierten. Die meisten Dorfbewohner aber suchten Schutz in der Kirche. "Hier durchschlug die Splitterbombe das Kirchendach", erinnert sich Domingo Valencia, der damals dabei war. "Sie war mit Metall und Glas gefüllt und richtete das nackte Grauen an. Hier fand ich einen ganzen Berg verstümmelter Leichen. Auch meinen Freund Emiliano, den die Bombe auseinandergerissen hatte." "Ja, Emiliano Palacios", sagt Pascuala, "das war mein Vater."
Zivile Opfer der FARC
"Ich warf mich auf meine 5 Kinder wie eine Glucke", erzählt Rosa de la Nieve." Die Augen geschlossen. Ich hörte sie nur weinen, fühlte ihr warmes Blut. Ich wollte meine Augen nie wieder aufmachen." Rosas Kinder überlebten schwerverletzt. Aber 79 Menschen in der Kirche waren tot. 14 Jahre ist das jetzt her. Die Bombe sollte rechte Paramilitärs treffen, aber zivile Opfer haben die FARC, die angeblich für das kolumbianische Volk kämpfen, immer in Kauf genommen. Bellavista ist ein Drama, es gibt hunderte!
Nach mehr als 50 Jahren Terror, soll ein Friedensvertrag mit den FARC den Guerillakrieg beenden. Seit verhandelt wird, halten sich die Kämpfer weitgehend an einen einseitigen Waffenstillstand. "Ich habe noch Zweifel, aber auch viel Hoffnung", meint Pascuala Palacios. "Wenigstens schweigen jetzt schon mal die Waffen der FARC." Und das FARC-Opfer Wilson Palacios meint: "Meine Sorge ist, dass die Regierung nur mit den FARC über Frieden verhandelt, aber nicht mit den anderen bewaffneten Gruppen. Die zweite Guerillagruppe ELN kämpft weiter und auch die Paramilitärs. Und die waren mit schuld daran, was hier passiert ist. In den Friedensprozess werden diese Armeen aber nicht mit einbezogen und ich wüsste gerne, wie es Frieden geben soll, wenn nicht alle beteiligt sind."
Nach langem Kampf zum Frieden bereit
Einst waren die FARC, die sich selbst marxistisch nennen, als Befreier unterdrückter Bauern angetreten. Doch im jahrzehntelangen Kampf gegen rechtsextreme Paramilitärs und Kolumbiens Armee verloren die meisten Guerilleros jegliche Ideologie. Mit Entführung, Erpressung und Drogengeschäften begannen sie, Milliarden von Dollars anzuhäufen. Der Klassenkampf wurde zum Selbstzweck, die Mittel immer brutaler. Kinder wurden als Soldaten rekrutiert, ganze Landstriche entvölkert, weil die Bevölkerung, vor der ständigen Bedrohung flüchtete. Doch weder die Staatsmacht noch die Guerilla konnte den Kampf für sich entscheiden. Ein Patt, aber kein Frieden. Jetzt, nachdem bei den FARC die Hälfte der einst rund 20.000 Kämpfer desertiert oder gefallen sind, sind sie offensichtlich zum Frieden bereit.
Er ist desertiert und wird sich den Rest seines Lebens verstecken müssen. Bernardo, so nennt er sich, war sechs Jahre bei den FARC. Er sagt es war oft brutal, aber mehr will er über seine Kampfeinsätze nicht erzählen. Egal ob FARC, ELN oder Paramilitär, der Weg zurück in die Gesellschaft ist schwer. "Der Ausstieg war der wichtigste Schritt meines Lebens. Es ist gut, dass ich das gemacht habe, obwohl die FARC Dir ständig Gehirnwäsche verpasst. Sie sagen allen, wenn ihr desertiert, lassen wir Euch ein paar Monate laufen und dann werden wir Euch finden und töten. Sie sagen auch, dass die Aussteigerprogramme der Regierung Lüge sind und wir von denen nie etwas bekommen würden. Jetzt weiß ich es besser, denn mir hat die Regierung geholfen."
Eine staatliche geförderte Reinigungsfirma gibt Aussteigern Arbeit. Auch Báquido, der mit 12 von den FARC verschleppt, und zum Kindersoldaten gemacht wurde. Mit 15 schnappte ihn die Polizei. Nach sechs Jahren im Gefängnis, ging er wie Bernardo in das Aussteigerprogramm. Er kommt mit dem Leben in der Legalität nicht klar. "Ich denke darüber nach wieder zu den FARC zurück zu gehen. Denn was ich mit der Arbeit hier verdiene reicht nicht zum Leben. Alles ist viel zu teuer hier draußen. Und der Staat hilft mir bei gar nichts." Im Betrieb arbeiten die beiden mit normalen Angestellten zusammen. Aber auch mit Leuten wie Freddy. Freddy war Paramilitär und damit Erzfeind von Bernardo und Báquido. Hier ist er ihr Gruppenleiter. Am Anfang trauten sie sich nicht über den Weg, aber mittlerweile seien sie normale Kollegen. Firmenchefin Esmeralda Prada hat dieses Experiment gewagt. Die FARC haben einen ihrer Bruder getötet, Paramilitärs den anderen. Jahrelang hatte sie nur Hass, dann änderte sie ihr Denken. "Wenn wir daran glauben, Frieden in Kolumbien erreichen zu können, werden wir ihn auch erreichen", glaubt Esmeralda Prada, Geschäftsführerin von „Labores Verdes Ambientales". Leicht wird es nicht, es gelingt nur, wenn die Mehrheit der Kolumbianer daran mitarbeitet.
Sechs Millionen Flüchtlinge im Land
Pascuala und Wilson wollen gerne an den Frieden glauben, aber sie wissen, dass FARC, ELN und Paramilitär noch in diesen Wäldern sind. Seit sich die FARC zurückhalten, versuchen die anderen Gruppen die Macht, auch über die Drogengeschäfte zu übernehmen, vertreiben weiter Menschen, die sie dabei stören. Fast sechs Millionen Kolumbianer sind Flüchtlinge, die meisten von ihnen Afrokolumbianer oder Indigene.
Oscar Carpio musste auch fliehen, kämpft seit dem für die Rechte seines Volkes. Mit dem Leben in Stadtnähe kommen seine Leute überhaupt nicht klar. Hier können sie nicht jagen, nichts pflanzen und der Fluss ist schmutzig. "Wir würden gerne zurückkehren in unsere Wälder", erzählt Oscar Carpio. "Das können wir aber nur, wenn uns dort niemand mehr bedroht. Aber der bewaffnete Konflikt wird weitergehen. Jetzt reden alle vom Friedensprozess, aber wir, ohne pessimistisch sein zu wollen, glauben nicht an den Frieden." Solange nur mit den FARC über Frieden verhandelt wird, Paramilitär und ELN aber weiter kämpfen, wird es weitere Ruinen wie in Bellavista geben. Und die Opfer dieses Dorfes mahnen vergebens. "Seht wie viele Unschuldige sie getötet haben, ohne das geringste Motiv", sagt ein alter Mann.
Stand: 11.07.2019 07:10 Uhr
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