So., 30.07.23 | 18:30 Uhr
Das Erste
Kolumbien: Wann ist ein Mann ein Mann?
Er hat drei Kinder, aber noch nie Windeln gewechselt. Creme oder Puder? Keine Ahnung. Juan lässt Busfahrer trainieren, was viele in Kolumbien "unmännlich" finden: Haare kämmen, Zöpfe flechten, vorsichtshalber nur an Attrappen. Eine Firma hat Juan ihre Mitarbeiter geschickt – zur Schulung für den "neuen Mann". "Ich habe drei Kinder und hatte nie Gelegenheit oder besser: Nie die Absicht, ihnen die Windeln zu wechseln. Aber heute in der Simulation habe ich das gemacht", erzählt Harold Eder Bolanos und Carlos Alberto Relativa sagt: "Ich gestehe, dass ich meiner Tochter nicht die Haare kämmen konnte. Aber heute habe ich das gelernt."
Jetzt will Juan sie noch überzeugen, mehr im Haushalt zu übernehmen. "Das könnt ihr zuhause aufhängen. Und aufschreiben, was Eure Verantwortung sein wird", erklärt er. Juan lässt Kurs um Kurs über Gefühle diskutieren. Der Pädagoge arbeitet für die Stadt Bogota. Sein Ziel: Männern Macho-Verhalten abtrainieren: "Ich bin Juan David und zuständig für die Schule Männer in der Pflege-Arbeit."
Ein strukturelles Problem
Kolumbiens Hauptstadt will den Kulturwandel. Weil viele Männer glauben, sie müssten vor allem "Versorger" sein, cool, autonom, aggressiv. Die Stadt will Rollenmuster aufbrechen, produziert dafür Lern-Videos. Wie putze ich mein Bad? "Du kannst eine alte Zahnbürste für die schwierigen Stellen benutzen." Was mache ich mit meiner Eifersucht? "Erkenne die Gefühle an. Wichtig ist, dass du Werkzeuge hast, damit umzugehen." Oder: Was tun, wenn mein Kind sich nicht beruhigt? "Die erste Empfehlung: bleiben sie ruhig." Warum die Kurse nötig sind, wird hier schnell klar. Wie Männer sein sollen und wie nicht, sitzt ziemlich tief. "Was mache ich, wenn ich mit meinem Kind zwei Männer sehe, die sich küssen?"
"Wenn du ein diverses Paar siehst, ändert das dann deine eigene sexuelle Orientierung?", fragt Juan. Er sagt, er wolle Zweifel säen – an ihren Überzeugungen: "Die Erfahrung lehrt uns, wenn wir sie direkt konfrontieren, dann verlieren wir die Männer. Sie kommen dann nicht mehr, weil das Widerstand erzeugt."
Der Weg zum "neuen Mann", er bleibt noch weit. Macho-Verhalten zu verlernen, heiße zu üben, jeden Tag. Zuhause haben Juan und seine Freundin die Jobs verteilt: Er spült, sie wäscht. Sie macht das Frühstück, er das Bett. Juan war nicht immer dafür offen, die Kurse haben auch viel mit ihm zu tun. "Ich bin wirklich extrem stolz auf ihn, dass er diese Kurse leitet", sagt seine Partnerin Andrea Lorena Moreno Torora.
In einer ruhigen Minute erzählt er dann von sich. Vom Vater, der gewalttätig war. Von eigenen Aggressionen, bis er anfing, sein Verhalten zu hinterfragen: "Dieser Wandel war sehr schwierig und schmerzhaft. Aber ich habe dadurch mehr gewonnen als ich verloren habe. Es hat sich gelohnt, diese Macho-Art abzulegen."
Der Kopf hinter dem Projekt ist Henry Murrain vom Kultur-Ressort. Mit Männern arbeiten, hält er schon lange für überfällig. So entstand diese Notfall-Hotline, wenn Männern die Gefühle aus dem Ruder laufen. "Hallo ich bin Paula, Psychologin bei der Linea Calma." Murrain will die Gesellschaft befreien vom Machismus, den er ein Gefängnis nennt. "Viele Männer leiden ganz schrecklich darunter, ihre Emotionen nicht ausdrücken zu können. Ihren Schmerz, ihre Bedürfnisse. Das ändert sich langsam. Wir erleben eine andere Art des Mannseins. Als gute Begleiter, als Zuhörer, als jemand der sich kümmert", erzählt er.
Ein langsamer Prozess
Die Schule tingelt unterdessen durch Bogotá, mit einer kleinen Show – und Haushalts-Spielen. Das Team aus Pädagogen und Psychologen ist heute groß, aber nur wenige Männer aus dem Viertel machen mit. "Wir bewegen uns als Männer sehr langsam. Wir haben uns bisher nur wenig hinterfragt. Klar, der ganze Diskurs ist akzeptiert, dass man Machismus auslöschen muss. Aber die Leute setzen das noch lange nicht um", erklärt Nicolas Antonio Bernal von der Schule "Hombres al cuidado".
Juan lässt sich nicht entmutigen. Dass es die Schule gibt, spreche sich herum. Wenn er nur einen überzeugen kann, sei viel erreicht: "Es verbessert die Art, wie wir uns mit anderen Personen in Beziehung setzen. Mein Leben ist so viel leichter geworden, etwa mit meiner Partnerin." Es dauere eben, Widerstände zu überwinden. Aber Juan konnte sich ändern. Er glaubt: andere schaffen das auch.
Autorin: Marie-Kristin Boese / ARD Studio Mexiko
Stand: 30.07.2023 20:03 Uhr
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