So., 30.07.23 | 18:30 Uhr
Das Erste
Polen: Müll aus Deutschland
Müllberge, tonnenweise. Fein säuberlich gestapelte Abfallpakete. Sie liegen dort, wo sie nicht liegen sollten: am Rande des kleinen Dorfes Sarbia, nördlich von Poznan. Seit fünf Jahren rotten sie hier vor sich hin.
Roman Mackowiak nimmt uns mit auf die Halde. Er kennt mittlerweile fast jede Ecke hier. In all den Jahren hat er alles genau unter die Lupe genommen. Gummi, Glas, vor allem Kunststoff ist in den Paketen verpresst. Aber das ist wohl nur die Oberfläche: "Es ist nicht wirklich bekannt, was unter diesem Haufen liegt. Die Feuerwehr war hier und hat versucht, hineinzustechen, um zu sehen wie die Temperatur innen ist, wegen der Brandgefahr. Man sprach da von Fässern mit Chemikalien, die dort abgestellt wurden. Aber es ist nicht ganz klar."
Ein Problem, das seit Jahren besteht
Anfang 2018 laden binnen weniger Wochen LKW-Kolonnen im Eiltempo 8.000 Tonnen Müll ab, mitten in idyllischer Landschaft. Der größte Teil des Mülls stammt aus Deutschland. Offiziell war das legal. Die Betreiberfirma hatte eine Lizenz zur Zwischenlagerung, der Müll sollte von hier aus recycelt werden. Doch das passierte nie. Die Firma meldete Insolvenz an. Und der Müll gehört nun niemandem. "Wir wussten sofort: Ja, wir bleiben auf dem Müll sitzen. Wir waren zu 100 Prozent davon überzeugt, dass uns auch niemand helfen würde – weder wollte, noch konnte", erzählt Roman Mackowiak.
Nicht nur der Anblick ist ein Problem. Auch die Gefahren für die Umwelt: das Sickerwasser geht bei Regen in den Boden. Und direkt neben der Halde ist die Zisterne, die den Ort mit Trinkwasser versorgt. Roman macht sich nicht nur deswegen Sorgen. Nur 100 Meter Luftlinie von der Halde entfernt steht sein Haus: "Es schmerzt sehr, so etwas neben dem Haus zu haben. Auch wenn jetzt im Moment der Geruch nicht mehr so schlimm wie damals im ersten Jahr ist. Da war es unmöglich, im Garten zu sitzen, ohne es zu riechen. Die Fenster waren immer geschlossen und Kakerlaken kamen auch ins Haus."
Einen kleinen Teil der Kakerlaken hat Roman gesammelt und in Spiritus aufbewahrt. Damit man ihm das alles auch glaubt. Der Wert seines Hauses und seines liebevoll gepflegten Gartens geht gegen Null: "Wenn dieser Müll hier bleibt, und darauf deutet im Moment alles hin, wird es nicht möglich sein, all das hier für einen sinnvollen Betrag zu verkaufen. Ich mag gar nicht mehr in das Grundstück, in das Haus investieren. Es ist nicht abzusehen, was hier passieren wird."
Das illegale Geschäft mit dem Müll
Resignation nach jahrelangem Kampf. Die Einwohner:innen von Sarbia haben lange versucht, die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen. Doch die Behörden schieben sich gegenseitig die Verantwortung zu. Longina Wika, die Ortsvorsteherin, hat die vielen Zeitungsartikel über ihr Dorf gesammelt. Über ihre Proteste, ihre unbeantworteten Briefe an den Bezirk. Es ist die Chronik eines Kampfes gegen Windmühlen. Mittlerweile ist ihr klar, wo das Problem liegt: "Wir wissen genau, dass es die Mafia ist, die uns alles hergebracht hat. Eine organsierte Verbrecherbande, die das durchgeführt hat. Denn das ganze wurde ständig überwacht beim Abladen der LKW. Ein Auto von denen fuhr die ganze Zeit herum und hat geschaut, ob alles läuft."
Sarbia ist kein Einzelfall. Weiter südlich in Klopotów ist das Problem noch viel größer. Am Rande des 170 Seelen-Dorfes liegen 60.000 Tonnen Müll, seit neun Jahren. Vor allem Kunststoff, Reifen, Lösungsmittel. Der Boden mittlerweile kontaminiert. Ewa Gil, die Dorfvorsteherin, erzählt eine ähnliche Geschichte wie die Menschen in Sarbia: ein Firma bekommt die Genehmigung, hier Müll zwischenzulagern, um ihn zu recyceln. Doch bevor es jemals dazu kommt, sind die Verantwortlichen über alle Berge. Der Müll bleibt. "Es ist eine Schande, dass in der heutigen Zeit solche Dinge passieren. Wirklich. So eine Müllhalde! Es ist schlecht für unsere Wirtschaft, unsere Landwirtschaft. Das ist ein Versagen des Systems, in dem Genehmigungen für sowas erteilt werden und Regeln nicht befolgt werden. Solche Deponien darf es nicht geben!", sagt sie.
Mehrmals hat die Halde in Klopotów bereits gebrannt. Zuletzt vor drei Jahren. Eine Woche lang mussten die Menschen hier den giftigen Rauch einatmen. Von solchen illegalen Halden gibt es in Polen mehr als 2000 – mit Müll aus Deutschland, den Niederlanden, England, aber auch viel aus Polen selbst. Erst vergangenes Wochenende brannte wieder eine von ihnen, in Zielona Gora, nur 80 km von der Grenze zu Deutschland entfernt. Hinter dem illegalen Müll-Geschäft stecken organisierte kriminelle Netzwerke, sagt Europol. Denn es sei lukrativ. Nicht nur in Polen. In ganz Europa. Die Gewinne gehen in die Milliarden.
"Das Problem ist größer geworden, weil die Regularien zur Abfallentsorgung in Europa immer strenger geworden sind. Das haben diese Kriminellen erkannt. Es ist sehr profitabel, diesen Service für weniger Geld anzubieten und ihn dann einfach nicht auszuführen. Es gibt ein geringes Risiko und geringe Strafen", erzählt Francisco Acosta. Die polnische Regierung macht jetzt in einem Video Deutschland für einen Teil des Mülls verantwortlich. 35.000 Tonnen seien illegal nach Polen gekommen und Deutschland weigere sich, den Müll zurückzunehmen. In dieser Woche reichte Polen offiziell Beschwerde bei der EU ein: "Die deutsche Regierung hat noch die Chance zu beweisen, dass sie grün ist, und dass sich die Grünen wirklich um den Umweltschutz kümmern, indem sie während des Verfahrens ihren Müll zurückzunimmt. Wir warten auf die deutschen Laster, die nach Polen kommen, um in den nächsten Tagen auf spektakuläre Weise den Müll abzuholen", sagt Anna Moskwa, Umweltministerin von Polen.
In Sarbia und Klopotów gibt man nicht viel auf die großen Worte aus Warschau. Viel zu lange schon ist man mit den Problemen hier allein gelassen worden.
Autorin: Kristin Joachim/ARD Studio Warschau
Stand: 30.07.2023 20:03 Uhr
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