Mo., 30.04.18 | 04:50 Uhr
Das Erste
Korsika: Die jungen Rebellen
170 Kilometer Felsen im Mittelmeer. Wild, ungestüm, anarchisch. So wie Jean Colonna. Er ist 25, Korse und Nationalist.
Große Verbitterung in Korsika
"Die Festung ist natürlich ein historischer Ort. Außerdem sieht man von hier aus gut, was in den letzten Jahren hier alles entstanden ist: Der Campus, die Universität, wo die Eliten von morgen ausgebildet werden." Und Jean gehört dazu. Das ist hier sein Platz, seine Zukunft. Von Macron hatte er sich mehr versprochen: Autonomie, Steuerhoheit für die Insel. Doch Paris ist weit entfernt von solchen Zugeständnissen und die Verbitterung hier: groß.
"An Macrons Besuch hier habe ich keine gute Erinnerung. Das war ein echter Affront, eine Beleidigung, wirklich neo-kolonial. Wir wollen echte Veränderungen, gesetzlich verankert. Souveränität, Steuerhoheit: aber wir sprechen nicht dieselbe Sprache", findet der Student Jean Colonna.
Forderung nach wirtschaftlicher Unabhängigkeit
Corte war früher die Hauptstadt der Insel, heute ist es die Hochburg der jungen Nationalisten. Der General auf dem Sockel: Vorbild aller Freiheitskämpfer – bis heute. "Frankreich raus! Unabhängigkeit!", fordern die Graffitis von Studenten. Kampf-Parole auch der radikalen Studentengewerkschaft, "Ghjuventù (Juventu) Paolina". Die Studenten haben klare Vorstellungen für ihre Zukunft: Wirtschaftliche Unabhängigkeit von Frankreich.
"Macron hatte uns versprochen, hier auf der Insel eigene Projekte, Arbeit, zu bekommen. Aber das funktioniert nicht. Die Arbeitslosigkeit liegt bei 20 Prozent und die Armutsrate...", sagt ein Student.
"...die ist noch viel höher", wirft Jean dazwischen. "Bei einem Drittel. Ein Drittel der korsischen Bevölkerung lebt unter der Armutsgrenze: Frankreich behauptet, das Land der Menschenrechte, der Demokratie zu sein. Aber wir werden vor die Wand gedrückt. Wir brauchen unsere eigene Wirtschaft und unsere eigenen Unternehmen, ohne Frankreich", fordert Jean.
Wunsch nach Reformen für Frankreich
Über 50 Prozent der jungen Korsen denken und wählen wie sie: weg von Frankreich. Aber wohin dann? Jean ist Idealist, aber kein Spinner. Korsika ist arm in Frankreich, aber ohne Frankreich? Abends im Café de la Place: Jean kennt fast alle hier: Jean-Felix Benedetti ist praktisch sein Pate. Parteichef der korsischen Unabhängigkeitsbewegung "Corre in Fronte". Auf Frankreich und seinen Präsidenten ist er nicht gut zu sprechen.
"Macron verhält sich wie ein Monarch. Frankreich muß reformiert werden, ja, aber er sollte sich dabei an Deutschland orientieren: Sie haben dort ihre Bundesländer, die eigene Rechte haben", so Paul-Felix Benedetti.
Jean ist das nicht radikal genug. Er will seinen eigenen Staat: Korsika mit allen Funktionen. Wie eine große Familie. Ein Korsika, daß ganz alleine existiert. Diese kompromißlose Kleinstaaterei findet er übrigens kein bisschen rückwärtsgewandt – im Gegenteil.
"Wir als junge Generation müssen diesen Kampf führen – weil wir unsere Zukunft bestimmen wollen", findet Jean.
"Korsisch zu sein ist für mich eine Geisteshaltung"
Erobert, besetzt, unterdrückt und einmal sogar verkauft: Die Insel hat alles erlebt. Das Ziel vieler Korsen heute: Europa. Elisa di Giò variiert korsische Kunst – auf ihre Art: "Was ich besonders gerne zeichne, sind Blumen, die gelben, korsischen Strohblumen. Ich ranke sie um das Portrait dieser Frau. Ich zeichne fast nur Frauen: Die Frauen meiner Familie sind Vorbilder für mich, ihr Charakterstärke, ihre Aufrichtigkeit – das ist ihre Kraft!" Elisa ist eine sanfte Kämpferin – dass Korsika das 1. Frauenwahlrecht in der westlichen Welt hatte, wissen hier fast alle.
"Hier sieht man die gesamte Inselikonographie: Pflanzen, Tiere, religiöse Motive, die kleine Kerze von St. Antoine und hier die heilige Jungfrau von Wasina. Sie vollbringt Wunder", erzählt Elisa do Giò.
"Korsisch zu sein ist für mich eine Geisteshaltung, – eine Verbundenheit mit der Erde – eine Sehnsucht, immer wieder hierher zu kommen."
Am Ende wirft sie noch einen neuen Entwurf an die Wand. Ihre korsische Kollektion ist nicht nur auf der Insel gefragt. Ihre Schwestern, Mutter und Cousinen sind stolz auf Elisas Arbeit. Auch das ist eine Form von korsischem Nationalismus.
Autorin: Sabine Rau/ ARD-Studio Paris
Stand: 03.08.2019 03:23 Uhr
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