So., 25.07.21 | 19:20 Uhr
Das Erste
Libanon: Lachen gegen das Trauma
Ihre Mission ist es, traumatisierte Menschen mit Gags und Akrobatik zum Lachen zu bringen. Zunächst trat die bunte Truppe von "Clown me in" vor Flüchtlingen auf. Seit der Explosionskatastrophe von Beirut vor allem vor Kindern. Oft ist das Schwerstarbeit. 100.000 Kinder – so schätzt Unicef – sind durch die Explosion, die ihre gewohnte sichere Umgebung wegsprengte, traumatisiert. Auch ein Jahr noch nach dem fürchterlichen Ereignis quälen sie Alpträume, Angstzustände, Sprachstörungen.
Viele Familien stehen vor dem Nichts
Schwungvoller Start in den Morgen mit Hula-Hoop-Reifen, kuriosen Songs und reichlich Albernheit. Letzte Probe vor einer Show am Mittag. Sabine Choucair in Höchstform, Kopf und Seele von "Clown me In". Seit der Explosion am Hafen von Beirut versucht die bunte Truppe, traumatisierte Kinder zum Lachen zu bringen. Bei mittlerweile schon mehr als 50 Vorstellungen. Eine schwierige Mission in einem krisengeschüttelten Land. "Ich sage nicht, dass Clowns die Welt retten, aber wir geben ihr eine Kleinigkeit, die so bitter gebracht wird: Wir bringen sie zum Lachen."
Familie Darir hat es hart erwischt, vor allem Nicholas. Besuch in ihrer alten Wohnung ganz in der Nähe zum Hafen. Die Explosion ließ von ihrer Einrichtung fast nichts übrig. Viele ihrer Nachbarn starben. Sie selbst aber waren bei Verwandten und blieben wie durch ein Wunder unverletzt. Es ist ihr zweiter Neustart. 2013 waren die Christen aus dem Krieg in Syrien geflohen, hatten hier ein neues Zuhause gefunden. Jetzt stehen sie vor dem Nichts. "Diese Tür hier ist kaputt gegangen", erzählt der kleine Nicolas. "Und an der Decke da oben, da sind überall Risse." Macht dich das traurig? "Ja."
Die Explosion hat vor allem bei Kindern Spuren hinterlassen
Die Explosion hat bei Nicolas tiefe Spuren hinterlassen. Über Monate sprach er kaum noch, nässte ins Bett. Bis heute quälen ihn Alpträume. Den Knall und die Erschütterung wird der sensible Fünfjährige wohl nie vergessen. "In der Nacht legte er meine Hand auf sein Ohr und sagte: Mama, ich möchte nichts mehr hören", erzählt Rana el-Darir. "Mir geht es nicht gut. Es war für ihn hart. Seine Schwester konnte es besser verarbeiten. Doch um ihn mache ich mir große Sorgen."
Clowns auf Tour. Aufbruch zu einer Vorstellung in einem Viertel am Hafen. Mit voller Montur bei brütender Hitze durch eine Stadt im Krisenmodus. Der Verfall der Währung, die hohe Arbeitslosigkeit, explodierende Preise treffen auch die jungen Künstler. Anmerken lassen sie sich das nicht. Stephanies Wohnung wurde durch die Explosion verwüstet, ihr Hab und Gut zerstört. Den meisten hier ist nichts geblieben außer ihrem Job als Clown. Und das Honorar der wenigen Engagements ist karg. "Wir leben in ständiger Angst", sagt Sabine Choucair. "Angst, kein Benzin mehr zu bekommen, keine Arbeit mehr zu haben, von der wir uns etwas zu essen kaufen können."
Puzzlen als Teil der Traumatherapie. Es sind solche Spiele, die helfen sollen, Nicolas zu öffnen, damit er über seine Ängste sprechen kann. Wenige Tage nach der Explosion suchten seine Eltern den Rat einer Hilfsorganisation, die etwa 100 Kinder wie Nicolas betreut. Einer ihrer Therapeuten hat seither schon etliche Sitzungen mit Nicolas absolviert. "Redet Ihr öfter mal über die Explosion?" "Ja, ich habe Angst davor." Und doch geht es ihm heute schon viel besser als noch vor knapp einem Jahr. "Er kann sich mittlerweile viel besser ausdrücken", sagt der Kinderpsychologe Roy Sayegh. "Da hat er große Fortschritte gemacht. Er nässt sein Bett nicht mehr, verhält sich anders, hat weniger Angst, spricht sogar mit Fremden."
Lachen und Vergessen mithilfe der Clowns
Endlich einmal nur Kind sein. Auf den Tag hat sich Nicolas lange gefreut. Eine Stunde abtauchen in eine andere Welt, lachen, vergessen. Eine Hilfsorganisation hat traumatisierte Kinder aus der Nachbarschaft geladen. "Clown me in" tritt auf und versprüht gute Laune. Die Kinder staunen, lachen, wundern sich. Nicolas bleibt erst einmal in sicherer Entfernung. Noch immer schreckt er bei lauten Geräuschen zusammen, kann schlecht loslassen. Die anderen tun sich da leichter. "Es war toll und hat Spaß gemacht", sagt Aya. "Alles war gut. Ich habe die ganze Vorstellung gemocht", meint Ibrahim Mohamed. Und auch Nicolas hat sich zumindest im Stillen ein bisschen amüsiert. "Ich fand sie gut."
Für die ist es Schwerstarbeit, Kinder mit Traumata zum Lachen zu bringen. Umso mehr freut sie es, wenn es ab und an gelingt. "Sie machen uns glücklicher als wir sie", sagt Stephanie von "Clown me in". "Wenn ich ihre Augen sehe, sobald wir zu ihnen kommen, ihre Reaktionen, wenn sie mit uns spielen. Das ist einer der Gründe, warum wir Clowns sind." Da draußen warten noch viele andere Kinder auf sie in einem Land, in dem es eigentlich nicht mehr viel zu lachen gibt.
Autor: Daniel Hechler, ARD-Studio Kairo
Stand: 25.07.2021 21:39 Uhr
Kommentare