So., 24.11.24 | 18:30 Uhr
Das Erste
Libanon: Schlafen im Techno-Club
Die Skybar in Beirut war einer der berühmtesten Clubs des Nahen Ostens. Bis zu 100 Dollar Eintritt musste man hier bezahlen. Angesichts des Krieges haben die Betreiber beschlossen in der Bar jetzt 500 Geflüchtete zu beherbergen. "Die Leute saßen auf der Straße", erinnert sich Gyal Arani: "Sie wussten nicht, wohin. Da hat einer der Clubbesitzer gesagt: 'Wir müssen den Leuten helfen, die brauchen jetzt sofort ein Dach über ihrem Kopf.'" Also haben sie den Club geschlossen und ein Geflüchteten-Lager daraus gemacht.
Matratzenlager statt Dancefloor
Beirut, die libanesische Hauptstadt, vor dem Krieg. Mitte September fand in der Skybar die letzte große Party statt. Wehmut kommt auf, hier feierte Gyal Arani ihre schönsten Nächte. Wir sind zu Gast in einer der angesagtesten Clubs im Nahen Osten. 1.000 Dollar Eintritt pro Abend waren die Reichen und Schönen bereit zu zahlen, erzählt Gyal. Aber nun ist Krieg im Land, und auch im Club alles anders. "Es fühlt sich unwirklich an. Ich meine wir sind hier in einem Club, schau dort, da war der Backstage-Bereich, dort das DJ-Pult, und da sind jetzt überall Menschen, Geflüchtete, Kinder. Es ist einfach verwirrend, schräg an. Aber wir mussten handeln, und wir haben gehandelt."
Die Tanzfläche dient seit Wochen als Lager für Geflüchtete. Statt Musikern und Partygästen verbringen jetzt hunderte vertriebene Familien hier ihre Zeit. Sie bekommen einen Schlafplatz, Internet und Strom. Die israelischen Bombardierungen auf ihre Dörfer verfolgen sie von hier in den Nachrichten. Die meisten Geflüchteten sind gläubig, schiitische Muslime. Ein Partyclub galt für viele als Haus der Sünde. Aufreizend gekleidete Frauen, Alkohol. Natürlich wüssten sie, was hier vorher war, erzählen sie, aber das sei kein Problem. "An diesem Ort fühlen wir uns nicht gedemütigt, nein.", sagt Umm Said. "Der Club-Besitzer ist der Einzige, der uns aufgenommen hat. Er ist derjenige, der an unserer Seite steht, wir wissen gar nicht, wie wir ihm das angemessen danken können. Er ist für uns fast schon ein Heiliger."
Israelische Luftangriffe, Raketen der Hisbollah
In der Skybar hat die Musik aufgehört zu spielen. Andere nutzen sie, um sich auszudrücken. Mehdi Saheli geht mit seinem Cello an Orte, die durch israelische Luftangriffe zerstört wurden. Der Musiker stellt Videos von sich und der massiven Zerstörung dann online. Eine Art Hilfeschrei – die libanesische Kultur dürfe nicht ausgelöscht werden. "Wir sind Menschen, wie überall sonst auf der Welt. Wir wollen Frieden, Sicherheit, machen Musik wie ihr, haben Künstler wie ihr, haben Kämpfer wie ihr. Jeder wählt seine Art des Widerstandes."
Um Särge gewickelt – die Fahne des Widerstandes: so sieht sich die Hisbollah selbst. Im Krieg gegen Israel erleidet die schiitisch-geprägte Gruppierung große Verluste: den Tod hunderter, womöglich tausender Kämpfer. Die israelische Armee nimmt bei ihren Luftangriffen auf Wohngebiete auch den Tod von Zivilisten in Kauf, zerstört ganze Dörfer im Südlibanon. Ihr Einmarsch am Boden hat bislang aber nicht bewirkt, dass die Hisbollah wiederum mit ihrem Raketenbeschuss auf Israel aufhört.
"Alle sind müde. Wir alle sind innerlich zerstört."
Den Krieg spüren auch die Menschen im Nordlibanon. Hier wohnen vor allem viele Christen. Auch Rytta ist Künstlerin, näht und schneidert Decken und warme Winterkleidung für Geflüchtete. "I COVER YOU" heißt ihre Hilfskampagne. Mit ihren Freunden will sie ankämpfen gegen die Angst vieler Christen vor geflüchteten Muslimen, gegen die Spaltung der Konfessionen im Land. "Am Ende unterscheidet der Feind nicht, woran wir glauben, Wenn er Krieg führt, führt er Krieg gegen uns alle, und wir leiden alle gleichermaßen. Ich möchte keine Angst vor einem libanesischen Mitbürger haben. Nein, ich möchte ihn willkommen heißen, lieben, damit wir gemeinsam in einem vereinten Libanon weitermachen können." Der Blick ins Ungewisse, er macht mürbe. So verwundbar hat Rytta die Schiiten im Land noch nie erlebt. Die Flucht vor dem Krieg habe vielen die Würde genommen. "Die Menschen wollen zurück in ihre Häuser, wenn es ihre Häuser überhaupt noch gibt. Sie wollen die Luft einatmen an ihren Heimatorten. Alle sind müde. Wir alle sind innerlich zerstört."
Skybar, Beirut. Vor dem Backstage-Bereich ein Lager für Geflüchtete unter freiem Himmel. Noch hat es um die 20 Grad, aber der Winter kann auch in Beirut kalt werden. Gyal versucht eine Lösung zu finden für die, die bislang draußen schlafen. Dann kommt das Essen, ein Event-Caterer spendet seit Wochen für die Geflüchteten mehr als 1.000 Mahlzeiten pro Tag. Es sei wie immer im Libanon, meint Gyal: das Krisenmanagement übernehme nicht der Staat, es sei in den Händen der Bevölkerung. Einzig die Solidarität macht Mut. "Ich hoffe der Krieg endet bald. Damit wir endlich in Frieden leben können, und das mal für länger, nicht nur für ein paar Monate." Und dann: das Leben wieder feiern. Die Zeiten, als sie das hier in der Skybar unbeschwert konnte, scheinen gerade unendlich weit weg.
Autor: Ramin Sina, ARD-Studio Kairo
Stand: 25.11.2024 15:10 Uhr
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