Mo., 23.05.16 | 04:50 Uhr
Das Erste
Libyen: Ein bisschen Hoffnung im Chaos
Martin Kobler lacht gern und viel. Frustriert-Sein sei einfach nicht seine Art, sagt der deutsche UN-Diplomat – dabei hätte er allen Grund dazu. Kobler soll im Auftrag der Vereinten Nationen das Bürgerkriegsland Libyen auf dem Weg zu Demokratie und Rechtsstaatlichkeit unterstützen. Aber der Diplomat hat nicht einmal ein Büro in Libyen. Das Land ist noch zu gefährlich. Kobler sitzt im benachbarten Tunesien.
"Wir sind hier eine Mission, die im Exil ist, wir wurden evakuiert aus Sicherheitsgründen, 2014, sind jetzt aber dabei, zurückzugehen. Seit der Präsidentschaftsrat wieder in Tripolis ist, fliegen wir auch auf Tagesbasis nach Libyen wieder rein aber wir bleiben dort nicht länger", erklärt Martin Kobler.
Das ist Koblers größter Erfolg: Die neue libysche Einheitsregierung in Tripolis. Wenigstens einige der tief zerstrittenen Gruppen in Libyen unterstützen die neue Führung. Höchste Zeit. Die Terrormiliz IS breitet sich in Libyen immer weiter aus. In Bengazi gab es heftige Gefechte zwischen den Gotteskriegern und den Truppen dieses Mannes: General Khalifa Haftar. Er kämpft für die Regierung in Al-Baida – und gegen die Milizen der Islamisten-Regierung in Tripolis.
Ein Land mit wechselnden Loyalitäten
Waffen gibt es genug in Libyen und Uniformierte an jeder Ecke. Nur kämpfen sie oft nicht für eine gemeinsame Sache – sondern gegeneinander. Es gibt keine Libysche Armee. Es gibt bewaffnete Anhänger konkurrierender Lager.
"Das ist natürlich ein Land, das von Milizen beherrscht wird. Man kann nie sicher sein, ob die Loyalitäten von heute auch die Loyalitäten von morgen sind. Es gibt keine staatliche Autorität, es gibt keine Staatsgewalt, keine Armee, keine Polizei, die für ganz Tripolis zuständig ist, sondern man muss sich immer mit Milizen arrangieren." Kobler hat viele Gesprächspartner, und alle sind wichtig, weil alle Teil des komplizierten Libyschen Machtpuzzles sind. Wie Mustafa Al-Barouni, der Bürgermeister von Zintan.
"Wir in Zintan haben diese Einheitsregierung immer unterstützt, aber leider – und das sage ich sehr deutlich, sind wir sehr enttäuscht von einigem, was diese Regierung getan hat. Das hat dazu geführt, dass viele Libyer das Vertrauen in diese Regierung schon wieder verloren haben", stellt Mustafa Al-Barouni resigniert fest. Drei Stunden lang wird Kobler versuchen, das Vertrauen zurückzugewinnen.
Europa immer noch als Traumziel
In Libyen herrschen Chaos und Rechtlosigkeit. Leichtes Spiel für Menschenschmuggler. Mehr als 800 Flüchtlinge sind in diesem Jahr schon gestorben. Sie haben den Traum von einer Zukunft in Europa mit dem Leben bezahlt.
Martin Kobler schildert: "Auch die Milizen nehmen natürlich Teil an diesem Menschenschmuggel und das ist wirklich ein trauriges Kapitel der libyschen Geschichte der Gegenwart. Wir hatten in diesem Jahr bereits 24.000 Leute, die den Weg gesucht haben aus der Gegend östlich von Tripolis nach Italien." Kobler besucht diese Woche ein Abschiebelager für Flüchtlinge, die vor der Überfahrt festgenommen wurden. Kobler spricht mit den Männern. Manche verbringen Monate hier. Wenn niemand ihre Rückfahrt nach Hause bezahlt. "Dieser Menschenschmuggel ist ein Verbrechen, schimpft Kobler. Ich bin schockiert, dass hier so viele Menschen untergebracht sind!"
Menschenrechte überwachen und schützen gehört auch zu Koblers Aufgaben. Schwierig in einem Land, in dem sogar Kinder in solch einem Lager festsitzen. "Mein Vater und meine Mutter wissen nicht, wo ich bin", sagt ein zwölfjähriger Flüchtlingsjunge. "Sie haben uns festgenommen. Wir haben jeden Tag gefragt, warum eigentlich. Aber wir bekommen keine Antwort." Im Lager sei es sicherer, sagen die Verantwortlichen. Draußen würden Flüchtlingskinder als Arbeitssklaven missbraucht.
Drei Stunden vertrauensbildendes Gespräch sind vorbei. Werben um Geduld und Unterstützung für die libysche Einheitsregierung. "Jeder Gesprächspartner sagt natürlich, du sprichst mit dem falschen Gesprächspartner. Es ist ganz wichtig, dass man Prinzipien-orientiert rangeht: Wir sprechen mit allen. Auch mit den falschen. Die einzigen, mit denen wir nicht sprechen, sind Al Qaida, Ansar Al Sharia, terroristische Organisationen. Aber wir sprechen mit allen im ganzen Land, ob es jeweils den anderen dann passt oder nicht." Politik ist eine Schnecke, sagt Kobler. Im Moment, so scheint es, geht es voran in Libyen. Aber eben ganz langsam.
Autoren: Volker Schwenck/Kurt Pelda/ARD Studio Kairo
Stand: 11.07.2019 21:31 Uhr
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