Mo., 23.05.16 | 04:50 Uhr
Das Erste
Thailand: Kämpfen für die Freiheit
"Ich kämpfe, um freizukommen", meint ein Häftling. Weit außerhalb von Bangkok. Auf dem Weg in den Knast. In Thailand gibt es sehr oft sehr lange Haftstrafen. Die Gefängnisse daher völlig überfüllt. Es ist Platz für 100.000 Häftlinge, tatsächlich aber sitzen dreimal so viele ein.
Fast ein Jahr hat es gedauert, bis die örtlichen Behörden zugestimmt haben, dass wir in einem der Gefängnisse filmen dürfen. Unter strengen Sicherheitsvorkehrungen werden wir an einem Morgen um sechs Uhr früh in einen Trakt von jugendlichen Drogendealern, Vergewaltigern und Mördern geleitet. Die Häftlinge, die im Muay Thai eine Chance auf eine Profikarriere haben, dürfen trainieren und haben die Möglichkeit, vorzeitig entlassen zu werden.
Mit Muay Thai auf den richtigen Weg
In diesem Gefängnis sind von den Wärtern 18 Insassen für dieses staatlich finanzierte Programm ausgewählt worden. Jeden Morgen zunächst eine Stunde Laufen. Dann der Appell mit allen Häftlingen, die die unterschiedlichsten Strafen abzusitzen haben. Von drei Jahren bis Lebenslänglich. Hartes Training. Harte Jungs. Bei einem sind am Bauch Narben von einer Messerstecherei zu erkennen. Nach einer Stunde Laufen, nun eine Stunde Krafttraining. Einer der Hauptwärter ist der Trainer. Die, die kein Potenzial haben, dürfen nicht mitmachen. Der Staat will seine Gefängnisse entlasten und hat die Wärter daher angewiesen, die talentiertesten Häftlinge auszuwählen und zu trainieren.
"Unsere Gefangenen sollen ihr Leben ändern", erklärt der Hauptwärter Veerapol Khunsri. "Das tägliche Training hilft ihnen, sich von Drogen fern zu halten. Wir empfehlen der Strafvollzugsbehörde, diejenigen vorzeitig zu entlassen, die national mal zu den besten Kämpfern gehören können."
Zu denen gehören Suntorn, 24 Jahre alt und wegen Raubüberfalls zu sechs Jahren verurteilt. Oder Mongkol, 21 Jahre und seit drei Jahren wegen Drogendealens in Haft. Suntorn muss noch zwei, Mongkol noch ein Jahr sitzen. Aber sollten sie sich beim anstehenden Kampfabend beweisen, würden sie ihre restliche Haftdauer auf nur noch sechs Monate begrenzen können. Ihr Training endet nach drei Stunden.
Im Gefängnis leben sie mit bis zu 30 Mann in einer Zelle. Dort filmen dürfen wir nicht. Thailands Gefängnisse sind berüchtigt für schlimme Zustände. "Es ist ein wirklich hartes Leben hier", sagt der Häftling Mongkol Tonyang. "Wenn man es überhaupt Leben nennen kann. Ich habe keine andere Wahl, ich muss schnell ein besserer Mensch und ein guter Kämpfer werden, dann kann ich bald endlich hier raus."
Wer gewinnt, kommt raus
Ein paar Tage danach gibt es in einem kleinen Ort nahe Bangkok anlässlich eines Volksfestes einen staatlich organisierten Kampfabend. Für ein paar Stunden raus aus dem Knast dürfen Mongkol und Sutorn, die hier ihre Privatkleidung tragen dürfen. Dortmund- bzw. Bayern-Trikot. Billige Imitate. Ihre Familien sind gekommen und versorgen sie erst einmal mit Essen. Drei Gefängniswärter sind in zivil in der Nähe und sichtlich entspannt. Obwohl sich bereits zu Beginn des Abends in der Dunkelheit eine ordentliche Menschenmenge angesammelt hat, haben die Wärter keine Sorge, dass Mongkol und Sutorn, die Gelegenheit zur Flucht nutzen.
"Sie würden schließlich für solche Veranstaltungen nur die auswählen, die sich im Gefängnis gut benommen und gut trainiert hätten. Die beiden hier hätten nicht mehr viel Zeit abzusitzen, beide wüssten, dass sie legal durch erfolgreiche Kämpfe früher rauskommen könnten", erklärt Gefängniswärter Veerapol Khunsri.
15 Euro für den Gewinner
Dann wird es ernst für Mongkol. Ein letztes Gebet vorm Kampf. Sein Gegner, der kein Häftling, sondern ein Muay-Thai Halbprofi ist, führt einen traditionellen Tanz auf, der seine Lehrer ehren und seinen Kontrahent verhexen soll. Fünf Runden à drei Minuten sind angesetzt. Die Kämpfer bewegen sich quasi im Takt, denn bei Muay Thai spielt die ganze Zeit eine Band, die den Rhythmus im Ring teilweise vorgibt, in dem sie gegen Rundenende immer schneller spielt.
Mongkol schlägt sich gut. Sein Gegner stammt aus einer berühmten Kampfschule und ist Favorit bei den Zuschauern, die untereinander wetten. Manche bestreiten mit diesen Wetten ihren Lebensunterhalt. Muay Thai ist vor allem bei den vielen armen Menschen im Land beliebt, die Kämpfer werden verehrt, auch wenn sie mit ihrem Sport nicht viel verdienen können. An diesem Abend bekommt jeder Gewinner 15 Euro. Mongkols Familie steht ganz nah am Ring, froh ihren Sohn zumindest kurz in Freiheit zu sehen. Am Ende gewinnt er. Zum ersten Mal sehen wir ihn lächeln. Er ist jetzt glücklich und wird heute Nacht allen in seiner Zelle davon erzählen.
Suntorn, der andere Häftling verliert danach seinen Kampf. Er war zu nervös und muss nun Monate auf eine neue Chance warten. Seine Zukunft ist ungewiss, sagt er.
Danach geht alles ganz schnell, die beiden Häftlinge müssen sich zügig von ihren Familien verabschieden. Im Gegensatz zu Suntorn bekommt Mongkol von den Wärtern eine positive Empfehlung. In sechs Monaten, darf er wohl vorzeitig raus und soll in einer Muay-Thai-Kampfschule angestellt werden. Mit dem Gefängniswagen geht es aber zunächst zurück in den Knast.
Autor: Marc Schlömer
Stand: 11.07.2019 21:31 Uhr
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