So., 05.11.23 | 18:30 Uhr
Das Erste
Mexiko: Rausch durch Pilze
Das kleine Dorf San José del Pacifico hat eigentlich nicht viel zu bieten. Trotzdem zieht es Tausende von Backpackern jedes Jahr ins Hochland von Oaxaca. Der Grund sind psychedelische Pilze. Die "magic mushrooms" sind fester Bestandteil der indigenen Kultur, deshalb ist ihr Konsum hier geduldet. Im Rest der Welt erleben "magic mushrooms" derzeit ein Comeback. Zum einen als Lifestyle-Droge, die gestressten Managern ohne viel Aufwand Grenzerfahrungen eröffnet. Aber auch als Forschungsobjekt: So soll der in den Pilzen enthaltene Wirkstoff Psilocybin bei Depressionen oder Angststörungen helfen.
Touristen kommen wegen der psychedelischen Pilze
In San José del Pacifico sind sie überall. Und viele kommen – extra für sie. "Warum bin ich hier? Wegen den Pilzen. Und den Bergen", sagt eine deutsche Touristin. "Eigentlich alle Backpacker, die hier hin kommen nehmen die. Aber ich weiß jetzt noch nicht. Wir waren noch skeptisch. Und eigentlich sind wir auch zum Nein gekommen", sagen zwei weitere Touristinnen. Psychedelische Pilze. Oder Magic Mushrooms. "Wir sind hierhergekommen, um die Pilze zu nehmen. Das haben wir gestern gemacht", erzählt eine junge Frau. Eine andere meint: "Wir haben gedacht, das macht alles irgendwie Sinn. Dass unser Hostel extra dafür designt worden ist. Alles war so… waldmäßig. Du verstehst schon, warum Leute es ausgerechnet hier machen."
Hier im Hochland von Oaxaca gehören die psychedelischen Pilze zur indigenen Kultur. Deshalb ist ihr Konsum geduldet. Und fast das ganze Dorf lebt von den Grenzerfahrungen der Touristen. Auch Navarro. Er bietet in seinem Garten Pilztrips an. Und zwar so, wie es dem indigenen Ritual entspricht. Nur nach einer Schwitzkur im Temazcal, der traditionellen mexikanischen Sauna. "Wenn du es richtig machen willst, musst du zuerst deinen Körper und deinen Geist reinigen", erklärt Navarro Temzcaliero. "Mein Temazcal ist Medizin. Es lässt dich besser atmen, besser hören, es entspannt dich, du bist nicht mehr müde, hast keine Schmerzen mehr. Es bringt dich in den Moment." Im Hier und Jetzt sein. Im Einklang mit der Natur. Das ist das Ziel. Doch immer wieder kommen Touristen zu ihm, die einfach nur den krassen Pilztrip erleben wollen. Ohne Ritual. Ohne Temazcal. Im Dorf werden die Pilze wie Kaugummis verkauft. Aber hier gehört das Temazcal dazu. Wenn einer nur die Pilze will und kein Temazcal, dann sage ich: der Drogendealer wartet an der Straße. Ich bin Medizinmann.
Die lange Tradition der magischen Pilze
Nach dem Schwitzen die eiskalte Dusche. Florian aus Frankreich möchte das volle Programm. Temazcal und Pilztrip. Ein Sud aus getrockneten Magic Mushrooms. Nach einer halben Stunde beginnt das Psilocybin zu wirken. "Es ist, als würde die Natur dir eine Nachricht schicken", sagt Florian. "Eine besondere Form der Kommunikation, zu der man normalerweise keinen Zugang hat. Und dann das Gefühl des Wohlbefindens. Im Frieden sein. In Verbindung mit der Umgebung. Mit der Natur. Und ganz besonders mit diesem Ort hier. San José del Pacifico – der einfach großartig ist."
Seit Jahrtausenden wird in Oaxaca das Wissen um die Pilze weitergegeben. Elisabeths Familie lebt seit Generation mit und von den "Magic Mushrooms". "Einmal im Jahr begeben sie sich auf eine innere Reise", sagt die Touristenführerin Elisabeth Pinacho Martinez. "Wenn jemand emotionale Probleme hat, gehen sie nicht zu einem Psychologen, sondern sie essen die Pilze, sprechen mit ihnen, während ihres Trips, der drei bis vier Stunden dauert. So versuchen sie, Antworten zu finden."
Selbst Kindern werden die psychedelischen Pilze als Medizin gegeben. In Mikrodosen. Auch Elisabeths Tochter. Vor ein paar Jahren, als am gleichen Tag Großmutter und Ur-Großmutter starben. Ein Schock für das damals sechsjährige Mädchen. "Sie hat uns erzählt, dass sie ihre Ur-Großmutter sehen kann, und die hat sich von ihr verabschiedet. Ihr Trip dauerte etwa eine Stunde. Es war ja nur eine Mikrodosis. Und während dieser Stunde konnte sie ihre Emotionen loslassen, die sie zuvor unterdrückt hatte."
Nutzen der Pilze für Medizin und Forschung
Noch ist nicht klar, wie die Pilze genau wirken. Abhängig machen sie offenbar nicht. Das darin enthaltene Psilocybin scheint aber bei psychischen Problemen zu helfen. Derzeit laufen Studien in verschieden Ländern, unter anderem Deutschland. Die Psychiaterin Carmen Amezcua glaubt fest an die Heilkraft der Magic Mushrooms. "Bis heute hat die Wissenschaft nicht verstanden, was bei Depression, bei Angststörungen und bei posttraumatischen Belastungsstörungen geschieht. Die Medikamente, die zur Behandlung eingesetzt werden, funktionieren nicht. Und nun haben wir mit Psilocybin ein Molekül, dass die Struktur des Gehirns permanent verändert, so dass ein Leben ohne psychische Krankheit möglich wäre."
Sie selbst darf Psilocybin nicht verschreiben. Offiziell – und außerhalb der indigenen Kulturen – ist es eine illegale Droge. Doch sie begleitet Patienten, die sich die Substanz selbst im Internet besorgen. Wie zum Beispiel Maricela und Daniel. Seit drei Monaten nehmen sie und ihr US-amerikanischer Freund Mikrodosen von Psilocybin. Bestellt auf Instagram. "Ich hätte nie gedacht, dass es so einfach ist, in dieses Universum von Mikrodosierung zu kommen", meint Maricela. "Wir wollten es probieren, weil wir beide an Angststörungen leiden – wie die meisten Menschen auf diesem Planeten. Und es funktioniert gut für uns." Und Daniel sagt: "Ich sehe keinen Grund, warum etwas, dass solche Klarheit gibt, solchen unklaren Regeln unterliegt."
Tatsächlich wird über eine Legalisierung von Psilocybin diskutiert – um die Forschung mit der Substanz zu erleichtern. Navarro hält von einer generellen Legalisierung gar nichts. Für ihn gehören das Naturerlebnis und der Pilztrip untrennbar zusammen. "Es ist nicht das gleiche, wenn du das in der Stadt nimmst. Da bist du total gestresst, isst die Pilze und bist noch gestresster. Da kannst du aus dem Fenster springen, vor lauter Panik." In etwa zwei Jahren sollen die Studien abgeschlossen sein. Dann wird sich zeigen, ob die Heilkraft der Pilze anerkannte Medizin wird. Oder ob ihr Zauber hier in San José del Pacifico bleibt.
Autorin: Karin Feltes, ARD-Studio-Mexiko
Stand: 06.11.2023 08:20 Uhr
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