So., 22.07.12 | 19:20 Uhr
Das Erste
Südsudan: Schule statt Bomben
Flucht aus den Nuba-Bergen
Unterricht im Flüchtlingslager. Der Hunger hat sie hergetrieben: der Hunger nach Nahrung und nach Bildung. Denn die Schulen in ihrer Heimat, den Nuba-Bergen im Nordsudan, sind zerstört von den Bomben der Armee. Aus einer weltabgeschiedenen Region geflohen, wissen sie trotzdem genau, dass es ohne Bildung keine Zukunft gibt in Afrika.
Nemat Ayub ist 14, wie die anderen Schüler auf eigene Faust hergekommen, ohne Eltern, 200 Kilometer gelaufen nach Yida in den Südsudan. Sein Lehrer John Albash Kuku erzählt: "Wir sind dem Krieg entkommen, und weil auch wir Lehrer aus den Bergen sind, versuchen wir die Kinder hier zu unterrichten, so gut es geht."
Es war nicht einfach für uns, nach Yida zu gelangen. Die ganze Gegend ist überflutet, es herrscht Regenzeit. Drei Mal wurde der Flug verschoben, tagelang mussten wir warten. Endlich also Anflug auf Yida, ein Dörfchen, das jetzt fast 70.000 Flüchtlinge bevölkern.
Nemat Ayub ist eines von fast 3.000 Kindern, die alleine gekommen sind. Sie lebt in einem Lager, betreut vom UNHCR, dem Flüchtlingswerk der Vereinten Nationen. Lagerleiterin Gladys Nyamai-tap ist selbst ehemaliges Flüchtlingskind, vor 20 Jahren während des Bürgerkrieges aus dem Südsudan nach Kenia geflohen, sie kennt die Nöte der Kinder.
Der beengte Raum, kein richtiges Bett, keine Schuhe, das eintönige Essen, jeden Tag Hirse, Nemat hat kein Geld, um sich Gemüse oder gar Fleisch zu kaufen. Hergekommen ist sie in einer kleinen Gruppe, erzählt sie Gladys, geführt von ihrem älteren Bruder. Sie hat die Bombardierung ihres Dorfes erlebt, musste mitansehen, wie einer ihrer Brüder und ein Onkel starben, weiß nicht, wo ihre Eltern geblieben sind. Sie hat Sehnsucht nach ihnen, würde am liebsten zurückgehen in die Berge, um nach ihnen zu suchen. Vielleicht sind deine Eltern ja auch hier im Lager, versucht Gladys zu trösten, sie verspricht, Nemat bei der Suche zu helfen.
Überall Schlamm. Während der Regenzeit sind die Verhältnisse katastrophal in Yida. Fast 70.000 Flüchtlinge. Vor einem halben Jahr war es noch ein Fünftel. Kaum zu bewältigen für die Hilfsorganisationen. Gladys versucht jeden Tag aufs Neue, sich einen Überblick zu verschaffen. Das Trachom ist ausgebrochen, eine ansteckende Augenkrankheit, durch Fliegen übertragen. Unbehandelt führt sie zum Erblinden. Betroffen sind vor allem die Kinder. "Viele Kinder leiden daran, die Augen schwellen an, die Ärzte ohne Grenzen sagen, dass es allein gestern fünf waren, die sie gefunden haben."
Die Ärzte ohne Grenzen haben eine mobile Klinik eingerichtet, das Trachom ist nicht das einzige Problem. Viel schlimmer sind die Durchfallerkrankungen, vor allem für die Kleinsten. "Im Moment sehen wir, dass die Kinder sehr spät zu uns kommen, das heißt, sie sind schon sehr geschwächt, bis sie zu uns kommen", berichtet Lucia Junk von "Ärzte ohne Grenzen". "Wir haben sogar viele Kinder, die schon im Schock zu uns kommen. Das heißt, wir sehen zur Zeit auch täglich Kinder in unserem Krankenhausbereich sterben. Wir versuchen natürlich unser Bestes, aber unsere Ressourcen sind einfach auch begrenzt."
Drei bis vier Kinder sterben hier jeden Tag. Die Mütter bringen sie so spät, dass sie nicht mehr zu retten sind. Viele Eltern wissen gar nicht, dass es hier kostenlos medizinische Hilfe gibt. Die Ärzte ohne Grenzen versuchen mehr Personal einzufliegen, um die Lage zu verbessern. Sie erweitern die Klinik, obwohl sie sich selbst schon gegen Angriffe aus dem Nordsudan schützen mussten. Im vergangenen November fielen Bomben auf Yida.
Einweisung der Neuankömmlinge. Zwei Ärzte und sechs internationale Helfer haben bisher hier gearbeitet, jetzt sind es mehr als doppelt so viele. Immer noch zu wenig: "Man kann sehen, dass die hygienischen Verhältnisse in Yida unerträglich sind. Das ist ein medizinischer Katastrophenfall, was die Zahl der Kinder betrifft, die sterben."
Es gibt viel zu wenig Latrinen, die Menschen verrichten ihre Notdurft im Freien, der Regen spült die Bakterien überall hin. An den Brunnen ist die Lage besonders gefährlich. Zwar ist das Wasser sauber, aber die Behälter der Flüchtlinge sind es nicht: "Solche Kanister versuchen wir zu ersetzen. Denn sie holen damit das Wasser und sie lassen sie offen, das heißt, die Fliegen können rein und verschmutzen das Wasser. Und dann trinken es die Leute und bekommen Durchfall."
Noch ist die Cholera nicht ausgebrochen. Aber die Gefahr wächst, denn immer mehr Menschen fliehen aus Südkordofan. Wir fahren ihnen entgegen, versuchen an die Grenze zu gelangen, nach Jaw. Der Weg dorthin ist fast unpassierbar, die Piste ein einziges Schlammloch. Immer wieder Regenschauer.
Jaw, das Grenzdörfchen, besteht aus ein paar armseligen Hütten. Überall Soldaten der SPLA, der Südsudanesischen Volksbefreiungsarmee. Eigentlich dürfen wir sie nicht filmen, erst recht nicht interviewen, aber dann laufen sie doch ständig durchs Bild. Sie sollen für Schutz sorgen. Der letzte Angriff aus dem Norden ist aber erst drei Monate her. Nicht alle konnten sich in solche Erdbunker retten, 80 Einwohner starben. Trotzdem fühlen sich die Flüchtlinge hier erst einmal sicher, erholen sich vom tagelangen Marsch, endlich angekommen im Südsudan.
Einen Tag werden sie noch brauchen bis nach Yida. Dort werden die Flüchtlinge erst einmal registriert, erhalten ihre Lebensmittelkarten. Gladys fragt nach den Eltern von Nemat. Ja, es gibt Leute, die Ayub heißen, aber sie kommen aus einem anderen Ort. Schlechte Nachrichten, Nemat wird weitersuchen müssen. Schwankend zwischen Heimweh und dem Wunsch, an einem sicheren Ort lernen zu können. Sie will Ärztin werden, sagt sie zu Gladys, so viele Menschen retten wie möglich.
Autor: Stefan Maier, ARD-Studio Kairo
Stand: 22.04.2014 14:55 Uhr
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