So., 09.06.13 | 19:20 Uhr
Das Erste
Iran: Vor der Präsidentenwahl im Gottesstaat
Eigentlich sind sie der 25 Jahre alte Hossein und seine Frau Paria ganz glücklich. Vor knapp vier Jahren haben sie geheiratet: Ihr Töchterchen ist gesund. Das Paar hat eine kleine Wohnung. Doch was sie in diesen Tagen umtreibt, ist die Sorge um die Zukunft, die eigene und die des geliebten Heimatlandes Iran. "Mit Gottes Hilfe tun wir alles, damit es unserer Tochter einmal besser geht, dass sie hat, was wir selbst nicht hatten. Sie soll einmal studieren", sagt Paria Jahanian.
Frühmorgens geht Hossein aus dem Haus. Denn der Weg zur Arbeitsstelle ist weit - eine Stunde mit dem Sammeltaxi. In einem Vorort von Teheran hat die Familie eine staatlich subventionierte Wohnung bekommen. Die Ahmadinedschad-Regierung hat in den vergangen Jahren ein umfangreiches Bauprogramm gestartet und viele Trabantenstädte errichtet.
Seit fünf Jahren arbeitet Hossein in einer kleinen Druckerei. Im Wahlkampf vor vier Jahren liefen die Druckmaschinen rund um die Uhr. Jetzt, wegen der Sanktionen und der Devisenkrise, haben sich die Papierpreise verdreifacht. Die Aufträge sind dramatisch zurückgegangen.
"Ich wähle auf jeden Fall"
Heute drucken sie Wahl-Plakate für den erzkonservativen Kandidaten Said Dschalili. Doch Hossein ist sich diesmal nicht sicher, wen er wählen soll. "Ich werde aber auf alle Fälle wählen gehen. Das letzte Mal habe ich für Ahmadinedschad gestimmt. Am Anfang war alles gut, aber dann ist alles sehr viel teurer geworden", erzählz Hossein.
Kandidat Dschalili: Kaum Veränderungen zu erwarten
Einer der Favoriten ist Said Dschalili. Er verhandelt derzeit mit dem Westen über das Atomprogramm. Sollte Dschalili Präsident werden, wird sich in Sachen Außenpolitik wenig ändern, befürchten viele Iraner. Er gilt als Lieblingskandidat des Revolutionsführers Chamenei, ohne den im Land nichts geht. Und beide vertreten eine streng islamische Politik. Offen tritt bei seinen Veranstaltungen die radikal-islamische Hisbollah aus dem Libanon auf. Iran unterstützt die Hisbollah mit Waffen. "Wir müssen die Wurzel des Zionismus, des Kapitalismus und des Kommunismus ausreißen und bekämpfen und mit Gottes Hilfe wird uns das auch gelingen", sagt Said Dschalili.
In der ersten Phase des Wahlkampfs ging es vor allem um Wirtschaft. Denn das Land leidet extrem unter den Sanktionen, auch wenn das Regime das nach außen nie zugibt.
Mittelstand unzufrieden
Mohsen Rezai ist ebenfalls ein Vertrauter des Revolutionsführers. Er hatte in der Vergangenheit Ahmandinedschads Politik kritisiert. Rezai ist studierter Ökonom, ein Mann der Wirtschaft. Einen seiner ersten Auftritte legt er in den Bazar. Die Bazaris sind der Mittelstand der iranischen Wirtschaft und die leidet im Moment sehr stark. Mittlerweile ist das Land so isoliert, dass der Außenhandel fast zusammen gebrochen ist. Hinzu kommen Preissteigerungen und Steuererhöhungen. "Wir schämen uns ja richtig, wenn jemand nach dem Preis fragt“, sagt einer der Händler. "Ein Paar Kinderschuhe haben bisher zwei Euro gekostet. Jetzt müssen wir sechs Euro verlangen."
Nur selten bleibt bei Hossein und Paria Geld übrig für Benzin - bei 110 Euro Monatseinkommen Netto kein Wunder. Da helfen auch die direkten Subventionen nicht, die sie seit vier Jahren vom Staat erhalten. 30 Euro pro Monat für die ganze Familie gleichen die Preissteigerungen längst nicht mehr aus. Ausflüge mit dem Auto sind eine Seltenheit. "Die Stadt ist so weit weg, der Transport ist schwierig und hier draußen gibt es kaum Möglichkeiten, was zu unternehmen", so Paria.
Westprodukte werden kaum noch verkauft
Original-Produkte aus dem Westen findet man in den Regalen der Supermärkte nur noch selten. Meist sind es Pflege- und Waschmittel aus der Türkei. Die Menschen kaufen nur noch das, was sie unbedingt brauchen. Frisches Obst, das die Iraner so gerne essen, kommt nur noch selten auf den Tisch. "Es ist alles sehr schwierig geworden, denn die Preise haben sich fast in allen Bereichen in den vergangenen drei Jahren verdoppelt", sagt Hossein.
Reformer Hassan Rohani als Hoffnungsträger
Einer der Hoffnungsträger ist der Reformer Hassan Rohani. Er kann auch auf Stimmen der ehemaligen grünen Oppositionsbewegung zählen. Bei seinen Veranstaltungen skandieren die Menschen: "Freiheit für Karubi und Mussawi". Die Führer der Opposition stehen seit vier Jahren unter Hausarrest.
Sein Team verteilt violettfarbene Bändchen, als Zeichen der Verbundenheit. Das erinnert stark an 2009. Damals waren die Bändchen grün. Rohani gilt als moderat. Während der Reformzeit von 2003 bis 2005 führe der heute 63-Jährige die Verhandlungen über das Atomprogramm. Mit ihm als Präsident könnte eine Annäherung mit dem Westen gelingen. "Man kann mit der Welt verhandeln, man kann eine sachliche Diskussion führen. Die sollte aber von gegenseitigem Respekt geprägt sein", sagt Rohani.
Diplomatische Forderungen der Reformer
Bei einer Kandidaten-Fernsehdebatte zu Kultur und Gesellschaft forderte auch der ausgewiesene Reformer Mohammad Resa Aref die Pressefreiheit, wenn auch sehr diplomatisch. "Zeitungen verbieten oder die Veröffentlichung eines Buches, oder die Vorführung eines Films unterbinden. Solche Dinge müssen korrigiert werden", sagte er. Und auch die Kontrolle des Internets und das Verbot von Satellitenschüsseln müsse aufgehoben werden, forderten die Reformer am langen Tisch.
Der Wunsch nach grundlegenden Veränderungen
Hossein und seine Frau geht es wie vielen anderen Iranern der Unter- und Mittelschicht: Sie sind ratlos, wen sie am kommenden Freitag ihre Stimme geben sollen, denn nichts hat sich in den vergangen Jahren zum Besseren gewandelt. "Ich erwarte vom neuen Präsidenten, dass er seine Versprechen einhält und dass vor allem die Preise wieder sinken", sagt Hossein.
Klare Wahlprognosen gibt es ebenso wenig wie einen klaren Favoriten. Sicher ist nur eines: Viele Iraner wünschen sich grundlegende Veränderungen - wirtschaftlich wie politisch.
Autor: Martin Weiss, ARD-Studio Teheran
Stand: 15.04.2014 11:17 Uhr
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