So., 07.07.13 | 19:20 Uhr
Das Erste
China/Taiwan: Invasion in Badehose
Aussöhnung mal anders
Getümmel statt Grenzschutz: Chinas Polizisten schauen zu, wie sich 200 Schwimmer ins offene Gewässer der Straße von Taiwan stürzen. Sie tun das sonst Verbotene: Schwimmen zwischen dem demokratischen Inselstaat drüben und dem kommunistischem Festland hier.
Wer schwimmen will, braucht ein Visum
Ganz am Rand der Volksrepublik China liegt Xiamen: Wie überall im Land paaren sich auch in der Küstenmetropole Kommunismus und Kapitalismus. Gleich gegenüber, keine acht Kilometer entfernt, befindet sich Taiwans Insel Kinmen. Rüberzuschwimmen, wohin die Nationalisten vor Maos Volksbefreiungsarmee flüchteten, ist auch heute nicht normal und ohne Sondervisum auch gar nicht möglich. Die Volksrepublik China bezeichnet Taiwan zwar als zu ihr gehörende Provinz. Taiwan hingegen besteht aber auf seine Unabhängigkeit.
Eisenbahnschienen, rostig und muschelbewachsen, ragen aus dem Wasser vor Kinmen. Die Panzersperren sollten die Invasion der Kommunisten aus dem nahen China verhindern. Wo einst ein blutiger Angriff befürchtet wurde, trainieren jetzt Dong und Huang. Auch sie wollen beim Schwimm-Marathon antreten. Die beiden sind in Kinmen aufgewachsen. Den Krieg kennen sie nur noch aus den Erzählungen ihrer Eltern.
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30.000 Granaten in 90 Minuten
Zwanzig Jahre lang regneten Granaten auf die Festingsinsel Kinmen hinab: Einmal ganze 30.000 innerhalb von nur 90 Minuten. Später folgten Granaten mit Propaganda-Flugblaettern. Ein Krieg mit bald aberwitzigen Zügen, finden Dong und Huang. An geraden Tagen schossen die Chinesen, an ungeraden schossen die Taiwaner zurück.
"Meine Eltern haben immer gesagt, geh nicht zum Strand. Da liegen überall Minen. Und dann haben sie von den Wassergeistern erzählt, die an Land gehen wollen um die Menschen zu töten. Mit den Wassergeistern waren die Chinesen gemeint", berichtet Huang aus Taiwan. Am Strand liegen sie noch rum, verrostet und verbogen: die Minenwarnschilder.
Annähern lautet die Parole
Am Abend in Xiamen findet ein Bankett für Schwimmer und Funktionäre statt: Annäherung lautet die Parole, doch Taiwan sitzt links, die Volksrepublik rechts. Der nächste Morgen: Die Sportler rücken an, Chinas Staatsmacht ist schon da - denn vor dem Schwimmen müssen alle erst mal zur Grenzkontrolle. Auch die Sportler Jing Jing und Xi Zi dürfen nicht weg, bevor nicht Taschen überprüft und Pässe eingesammelt sind. Gleiches gilt für die Gäste: Dong und Huang kriegen ihre Pässe erst auf der anderen Seite wieder. Immerhin die Kanonen und Gewehre schweigen zwischen beiden Ländern. Dass auch beim Start kein Schuss fällt, ist allerdings ein Panne.
Auf den Weg nach Taiwan gibt es jetzt keine Halten mehr. Die Schnellsten schaffen die acht Kilometer in eineinhalb Stunden. Und dann passiert, was die Taiwaner jahrzehntelang gefürchtet haben: Die Chinesen vom Festland erobern den Strand von Kinmen. Eine Invasion in Badehosen - als Erstes geht ein chinesischer Schwimmer durchs Ziel. Dann kommt auch der Taiwaner Huang an Land. "Das Wasser war ziemlich aufgewühlt", sagt er. "Das waren riesige Wellen. Aber es hat richtig Spaß gemacht." Auch Jing Jing, die chinesische Studentin, erreicht das taiwanesische Ufer.
Eine Annäherung im Kleinen
"Hier bei diesem Marathon verstehen wir uns doch bestens - wir Taiwaner und die Chinesen. Die ganzen Kriegsgeschichten, dass jeder jeden hasst, die sind doch Quatsch", sagt Huang beim Mittagessen. Diese jungen Schwimmer haben es geschafft: Sie haben die Grenze überwunden und sind unbefangen aufeinander zugegangen. Eine Annäherung im Kleinen - an der politischen Trennung beider Chinas ändert das aber wohl nichts.
Autoren: Philipp Abresch/Daniel Satra, ARD-Studios Tokio/Peking
Stand: 15.04.2014 11:08 Uhr
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