So., 20.10.13 | 19:20 Uhr
Das Erste
Laos: Explosives Erbe - Wie mutige Frauen nach Blindgängern buddeln
Manixia Thor hat einen drei Jahre alten Sohn. Doch für drei Wochen im Monat verlässt sie Mann und Kind. Dann ist sie verantwortlich für ein Team von zwölf Bombenentschärfinnen. Gemeinsam suchen sie Ackerböden, Weideflächen und ganze Dörfer mit Detektoren nach den Bomben ab. Ein lebensgefährlicher Job. Schlägt der Detektor aus, tragen die Frauen mit einem Spaten die rotbraune Erde ab, bis sie den Sprengkörper freigelegt haben.
Die britische Hilfsorganisation Mines Advisory Group (MAG) hat die Frauen rekrutiert und zu Bombenentschärferinnen ausgebildet. "Wenn ich meinen Detektor zusammengebaut habe und mit der Arbeit beginne, dann verdränge ich die Angst. Ich mache das hier für die Sicherheit meiner Landsleute und will so viele Sprengkörper wie möglich finden", sagt Noke Xayaboulin.
Blindgänger lauern überall
270 Millionen Streubomben haben die USA während des Vietnamkriegs über Laos abgeworfen. Rund ein Drittel ist dabei nicht explodiert. Die Blindgänger lauern überall: im Schlamm der Reisfelder und selbst in den Dörfern. Sie können jederzeit hochgehen. "Dass wir ein Frauen-Team sind ist kein Zufall. Ich bin überzeugt, dass wir mehr Feingefühl als die Männer besitzen. Die haben zwar auch ihre Stärken, doch diesen Job, glaube ich, machen wir besser!", erklärt Manixia Thor.
Auf markierten Bahnen suchen die Frauen das verminte Gelände ab. Es dauert nicht lange, bis das erste Gerät ausschlägt. Zentimeter für Zentimeter wird die Erde abgetragen. Ein falscher Stich, eine plötzliche Erschütterung - und die Bombe könnte explodieren. Jetzt ist Teamleiterin Manixia gefragt. Ihr Job ist es, den Sprengkörper abzusichern. "Wenn ich vor einer Bombe stehe, muss ich immer an meinen Sohn denken. Ich habe gelernt, die verschiedenen Typen zu erkennen. Zuhause erkläre ich ihm dann, wie sie explodieren. Immer wieder sage ich ihm, dass er sie nie anfassen darf!"
Jährlich werden Hunderte verletzt
Reisbauer La Don ist seit drei Jahren auf die Hilfe seiner kleinen Töchter angewiesen. Eine Streubombe nahm ihm das Augenlicht. Es war ein kalter Morgen, als der 26-Jährige Feuer machen wollte. Die Kinder und seine Frau waren im Haus, als es plötzlich zur Explosion kam. Der Sprengkörper lag direkt unter der Feuerstelle. "Die Metallsplitter trafen mich überall, an Brust, Augen und Händen. Alles hat sich verändert. Ich kann nicht mehr im Reisfeld arbeiten und nicht mehr meine Familie unterstützen", sagt La Don. Seine Frau Bounthone muss jetzt gemeinsam mit dem Schwiegervater die Familie ernähren.
"Natürlich ist es anstrengend und auch gefährlich"
Bei den Bombenentschärferinnen ist jetzt schnelles Handeln gefragt. Manizia trägt Plastiksprengstoff zur Fundstelle. Ihre Kolleginnen vertreiben Kühe und warnen die Anwohner. Manizia legt den Plastiksprengstoff auf die Streubomben, ihre Kollegin spannt die Zündschnur. Dann ist Manixia allein auf dem Gelände. Der Countdown für die kontrollierte Sprengung läuft und glückt.
Ein kleiner Erfolg. Doch es wird wohl noch 100 Jahre dauern, bis Laos endgültig bombenfrei ist. Jedes Jahr werden Hunderte durch Streubomben verletzt und verstümmelt, Dutzende sterben. Oft sind Kinder die Opfer, weil sie die tödliche Kugel für Spielzeug halten.
Laoten haben sich mit Kriegsaltlasten arrangiert
Bombenentschärferin Manixia Thor hat gelernt mit der Gefahr umzugehen. Bisher ist noch keine ihrer Frauen verletzt worden. Das Piepen des Detektors ist ihr ständiger Begleiter geworden. Jede Stunde macht ihr Bombensuchtrupp eine kurze Pause. Für zehn Minuten hallt dann ein Lachen über das verminte Gelände. "Natürlich ist es anstrengend und auch gefährlich. Deshalb erzählen wir uns in den Pausen lustige Geschichten, wir lachen viel und wollen für einen kurzen Moment die Bomben vergessen“, erzählt Manixia Thor.
Die Laoten haben sich mit den Altlasten des Krieges arrangiert: Rund um den Kriegsschrott ist eine ganze Industrie entstanden. Meevanh und seine Mutter Tuy verarbeiten die Aluminiumteile der Sprengkörper für zivile Zwecke. Das Rohmaterial bekommen sie vom lokalen Schrotthändler. Sie schmelzen es ein und gießen es zu Löffeln. Von ihrer Arbeit können sie inzwischen ganz gut leben. Die Familie verkauft sie auf Märkten und exportiert sie - sogar in die USA.
Autor: Norbert Lübbers, ARD-Studio Singapur
Stand: 15.04.2014 10:50 Uhr
Kommentare