So., 27.01.13 | 19:20 Uhr
Das Erste
Schweden: Heimweh - Wenn Koreaner in Lappland Bremsen testen
Flaggenappell in Arjeplog am Polarkreis: Ingenieur Youngjin Choi passt auf, dass die südkoreanische Fahne bei minus 15 Grad auch Haltung bewahrt. Im 3.000-Seelen-Ort in der Weite Lapplands kann von Ruhe keine Rede sein. PS-Geflüster auf dem See ist angesagt.
Autobauer aus aller Welt wollen wissen, ob ihre neuesten Entwicklungen die Kälte überstehen. Der 35-Jährige Youngjin Choi testet, 7.000 Kilometer von Zuhause entfernt, für einen koreanischen Konzern Bremsanlagen. „Hier in Schweden haben wir viel mehr Platz zum Testen, vor allem aber ist es hier durchgehend kalt“, erklärt er.
Einheimische essen seltsame Dinge
Zehn lange Wochen verbringen Choi und Kollegen nun in Lapplands Winter. "Die Menschen sehen so anders aus, und sie benehmen sich noch seltsamer, als all die anderen Europäer, die ich bisher kennengelernt habe", erzählt Youngjin Choi. Zudem essen die Einheimischen seltsame Dinge, mit denen koreanische Zungen überhaupt nichts anfangen können. Deshalb hat der Autotross zwei Köche im Schlepptau, um die Techniker zumindest kulinarisch bei Laune zu halten.
"Ich habe mal was mit Elchfleisch gekocht, aber das roch für die Kollegen so unappetitlich, da musste ich schnell was Neues machen", erzählt Chefkoch Eokman Lee. Mehr als fünf Dutzend Ingenieure und Techniker füttert das Küchengespann zweimal täglich durch. Mandu, Patjuk und Fischsoße bestellt Chefkoch Eokman eigens in der Heimat. Geliefert wird per Express mit dem Flugzeug und Kurierdienst.
Region Arjeplog profitiert von Autotestern
Die Tests der Autobauer bescheren den Einheimischen ein fettes Plus in der Haushaltskasse. Sie bringen der Region um Arjeplog mehr als 50 Millionen Euro im Jahr.
Im Schönheitssalon "Harmonie" gibt es Beauty-Beratung, Massagen, Nagelpflege und die örtliche Autovermietung. Sind die Nägel fertig, wird Sofia Finnsson zur Maklerin. "Unsere Kunden kommen von überall - aus Korea, aus Frankreich, und viele aus Deutschland. Sie arbeiten für Porsche, BMW oder Bosch. Die Koreaner sind aber schon ein besondere Sorte 'Mäuse'. Zum Beispiel haben sie mal einen Fisch gekauft und direkt auf dem Herd gebraten, ohne eine Pfanne zu benutzen. Das macht man dort wohl so. Das Haus wäre fast abgebrannt und der Herd war natürlich hin", erzählt Finnsson.
Lukrative Hausvermietung
Trotzdem vermieten viele Einheimische ihre Privathäuser gerne an die auswärtige Kundschaft. So wie Familie Adamsson. Sie können ihr Heim erst Ende März wieder beziehen. Bis dahin wohnen dort vier koreanische Ingenieure für 10.000 Euro Miete. Dafür machen es sich die Adamssons vorübergehend auch mal gerne im Wohnwagen gemütlich.
Tage am Polarkreis sind lang
Die neuen Bremsen von Ingenieur Choi sollen demnächst in allen Mittelklasse-Modellen seiner Firma landen. Die Tage am Polarkreis sind lang, weil der Aufwand, den die Autobauer betreiben, groß ist. Vieles in den Hallen sei ganz geheim, und müsse vor den neugierigen Blicken der Konkurrenz geschützt werden, flüstert Choi. Am besten durch Nachtschichten, wenn bei den anderen schon lange Feierabend ist. Und außerdem wisse er ja sowieso nicht, was er sonst mit seiner Freizeit anfangen solle.
Auto-Paparrazzi auf der Suche nach Erlkönigen
Doch eigentlich bleibt gar nichts geheim. Dafür sorgen schon die Auto-Paparrazzi. Ein Erlkönig nach dem nächsten fährt ihnen vor die Kameras, unauffällig auffällig getarnte Autos, die bald auf den Markt kommen. Vor allem europäische Hersteller nutzen das vermeintlich menschenleere Lappland. Und so ist auch der neue Mini von BMW auf den Straßen rund um Arjeplog unterwegs.
Annäherung und Heimweh
Im örtlichen Kampfsportzentrum versuchen die Einheimischen die Koreaner doch noch irgendwie für Folklore zu begeistern. So bietet der Dolmetscher seit kurzem Kurse für eine brasilianische Version von Jiu-Jitsu an. Ein paar Unerschrockene sind gekommen. So nah wären sie Hausvermieterin Sofia sonst nie gekommen.
Ingenieur Choi verbringt seinen Abend lieber im gemieteten Haus mit seinen Kollegen - bei reichlich Dosenbier und koreanischem Fernsehen. Das holen sich hier übers Internet auf den schwedischen Bildschirm. "Alles Geld, das ich verdiene, würde ich weggeben, um wieder nach Hause zu dürfen. Vor allem an den Wochenenden geht es mir so", sagt der Autotester. Stolz weht Südkoreas Flagge im Polarwind. Bis Ende März muss Herr Choi an diesem einsamen, fremden Ort noch durchhalten.
Autor: Clas Oliver Richter, ARD-Studio Stockholm; Mitarbeit: Fabian Sturm
Stand: 10.11.2014 11:12 Uhr
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