So., 27.01.13 | 19:20 Uhr
Das Erste
China: Wohin mit Oma?
Für Chinas Bauern gibt es weder Altersheim noch üppige Rente. Symbolische sechs Euro erhalten Bauer Li und seine Frau monatlich vom Staat. Sie leben von ihrem kleinen Stück Land, etwa 100 Kilometer südlich von Peking. Sie haben kein fließend Wasser und nur einen kleinen Ofen trotz Minusgraden. Die Li’s sehen älter aus als sie sind. Sie sind erst Anfang 60.
Sie ist herzkrank und ihm droht der Schlagfall. Die Operationen sind für das Paar unbezahlbar. "Was passiert, wenn ich mal umfalle. Mein Mann ist krank, unser Sohn ist weg. Vier Jahre haben wir nichts mehr von ihm gehört. Nur sein Kind, das hat er uns da gelassen", erzählt Cao Guirong. Der kleine Zijian ist erst sechs Jahre alt und geht in die Vorschule. Um ihn müssen sich die Großeltern nun auch noch kümmern.
Private Alten- und Pflegeheim: Schwester ersetzt Kinder
Ortwechsel: Ein Altersheim in Peking. Die Bewohner trällern Revolutionsweisen. Oberschwester Yuan Jie organisiert den Tagesablauf für die rund 300 zahlenden Gäste in diesem privaten Alten- und Pflegeheim. Viele sind dement, ein großer Teil Pflegefälle, Aber die, die sich noch teilhaben können, wollen Programm und Unterhaltung.
Die Schwestern ersetzen dann die Kinder. Denn eigentlich sollten es die Kinder sein, die sich - gemäß chinesischer Tradition - zu Hause um die Eltern kümmern. "Niemand hört ihnen mehr zu, wenn sie ihre Geschichten erzählen. Also bin ich die geduldige Zuhörerin. Manchmal sind es ganz persönliche Dinge - Dinge, die sie vielleicht noch nie erzählt haben, nicht einmal ihren Kindern", sagt Schwester Yuan Jie.
220 Euro im Monat für ein Bett im Achtbettzimmer
220 Euro im Monat kostet hier das günstigste Bett in einem Achtbettzimmer. Das ist immer noch eine stattliche Summe, denn die Durchschnittsrente der Städter liegt nur bei etwa 180 Euro. Dass Kinder ihre Eltern ins Altenheim geben, gilt in China noch immer als verwerflich. Aber viele sind beruflich so eingespannt, dass sie professionelle Hilfe für die Betreuung ihrer Eltern brauchen.
So ist es auch bei Oma Zou: Sie ist 86, spricht englisch und hat studiert. Dank einer guten Pension wohnt sie in einem Einzelzimmer. Ihr Sohn besucht sie einmal in der Woche - anfangs mit schlechtem Gewissen: "Ich hatte Angst, meine Kollegen lästern über mich, weil ich meine Mutter ins Heim schicke. Die meisten, denken immer noch, dass Pflege zu Hause viel besser ist. Aber sie ist glücklich hier, es gibt Unterhaltung und Menschen zum Reden", erzählt der 49 Jahre alte Manager Jiang Wangli.
Die Einkindpolitik und die Folgen
China überaltert - und das rasant. Schuld ist auch die Einkindpolitik. Das Sozialsystem ist schwach. Ein Alter in Würde kann sich bisher nur die städtische Mittelschicht leisten. Oma Zou aber ist zufrieden und der Sohn erleichtert. "Er ist so ein guter Sohn, er denkt immer an mich. Manchmal glaube ich, es wäre einfacher für ihn, wenn ich früher sterben würde. Dann hätte er mehr Zeit. Aber dann, eigentlich möchte ich ihn noch nicht verlassen", sagt die alte Dame.
Gigantisches Wohnprojekt vor den Toren Pekings
Vor den Toren Pekings entsteht ein gigantisches Projekt: Altersgerechte Wohnungen in einer altenfreundlicher Umgebung sind das Ziel. Taiyang Cheng - die Sonnenstadt heißt das Projket. 100.000 Menschen sollen hier einmal wohnen - überall Notrufknöpfe, medizinische Top-Versorgung, alles behindertengerecht.
"2050 ist jeder dritte Chinese im Rentenalter. Alles, was die Bedürfnisse alter Menschen befriedigt, wird dann sehr gefragt sein. Alters- und Pflegeheime oder entsprechende Wohnungen sind heute schon Mangelware und die Nachfrage wird weiter wachsen", erklärt Yan Jing, Manager des "Sun City"-Projekts.
Vision einer generationenübergreifende Großsiedlung
Umgerechnet sieben Milliarden Euro soll die Sonnenstadt einmal kosten. Zielgruppe ist die obere Mittelschicht. Die Investoren sind zuversichtlich. Aber nicht nur ältere Menschen sollen hier ein zu Hause finden, auch junge sind willkommen. Damit die Senioren nicht nur unter sich sind. Die Vision ist eine eine generationenübergreifende Großsiedlung, in der aber das Wohlergehen der Ältesten höchste Priorität genießt.
Residenzen für Priviligierte
Schon heute gibt es Residenzen mit jedem Komfort. Bei Peking wohnt Qi Yunshan. Er ist rüstige 80 und ein pensionierter Kader aus dem Statistiksamt. Aber auch er vermisst den Kontakt zur jüngeren Generation und den eigenen Kindern. "Ich kann nicht mehr richtig sehen und auch nicht mehr alleine kochen. Aber Zuhause ist ja niemand, der sich um mich kümmert. Meine Tochter lebt in den USA. Sie kommt nur einmal im Jahr zu Besuch.
Für den Durchschnittsrentner ist diese Einrichtung unerschwinglich. Hier leben vor allem pensionierte Kader mit hohen Pensionen. Die Zimmer sind großzügig - wie im Hotel. Für 600 oder 700 Euro gibt es sogar kleine Suiten mit Terrasse. Trotzdem - Qi wurmt es immer noch, dass er von Zuhause wegmusste. "Es gab Momente, da habe ich bereut, dass ich mir so viel Mühe mit der Erziehung meiner Tochter gegeben habe. Die ist einfach ins Ausland gegangen und nicht mehr für mich da. Aber mittlerweile habe ich eingesehen, dass sie ihr eigenes Leben hat.“
Familienversorgung in China gerät ins Wanken
Von einem Leben ohne finanzielle Nöte, von einer warmen und sicheren Umgebung wagen Bauer Li und seine Frau nicht einmal zu träumen. Alle Gedanken und Sorgen richten sich auf den Enkel und auf die teure Medizin für ihre geschundenen Körper. “Wir müssen es irgendwie schaffen, zehn Jahre noch – dann ist er 16 und wird nicht mehr verhungern. Das ist jedenfalls unsere Hoffnung. Unsere Körper sind alt, müde und krank - im Moment gerade geht es mir ganz gut, aber was ist morgen? Wer weiß das schon?“, erzählt Li Zhenjiang.
Das alte System der Familienversorgung in China ist ins Wanken geraten. Eine Sozialversicherung für die 800 Millionen Bauern gibt sie noch nicht. Ruhestand in Armut – auf dem Land ist das der Alltag.
Autorin: Ariane Reimers, ARD-Studio Peking
Stand: 22.04.2014 14:11 Uhr
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