So., 16.11.14 | 19:20 Uhr
Das Erste
Mexiko: Ein Land im Würgegriff der Drogenbarone
Die Türme in Mexiko Stadt glitzern in der Sonne, sie spiegeln Wohlstand wieder und sollen symbolisieren: In Mexiko geht es aufwärts. Irgendwo in der 25 Millionen Metropole sehen wir das andere Gesicht Mexikos: Wir treffen Marisa Mendoza, die in Angst lebt. "Wer gegen die Regierung ist, wird umgebracht. Wer gegen die Mafia berichtet wird umgebracht", sagt sie. Nur mit uns, als ausländischen Journalisten, ist sie bereit zu sprechen.
"Man hat mir meinen Mann entrissen",
Marisa ist mit 26 Jahren Witwe. "Man hat mir meinen Mann entrissen", sagt sie unter Tränen. Auf einem Fest hatten sich die Grundschullehrerin und der Lehramtsstudent Julio aus Ayotzinapa kennengelernt. Sie haben ein gemeinsames Kind. "Er war ein sehr zarter Mensch, sehr aufmerksam. Wenn er mich von der Arbeit abholte, brachte er mir immer eine rote Rose mit", erzählt Marisa.
Julio Cesar saß mit im Bus, an jenem 26. September in Iguala, als Studenten von der Polizei beschossen wurden, allein weil sie eine Protestaktion geplant hatten. "Ich konnte nicht glauben was ich sehe. Er hatte kein Gesicht mehr, er hatte keine Augen mehr, er war heftig geprügelt worden", erzählt Marisa. Der sadistische Mord an Julio Cesar und die mutmaßliche Hinrichtung der 43 Studenten lösen Entsetzen und Krawalle im Land aus. Ihr Fall reiht sich ein in eine unfassbare Statsitik: Es gibt 22.000 Vermisste in Mexiko, unzählige Massengräber, Massenhinrichtungen durch Drogenbanden, Militär oder Polizei.
"Wir haben kein funktionierendes Rechtssystem"
"Das Maß ist voll", sagt uns die regierungskritische Journalistin Sanjuana Martinez. "Das große, große Problem des Landes ist die Straflosigkeit. Wir haben kein funktionierendes Rechtssystem. Einfache Menschen haben keinen Zugang zum Rechtssystem. 98 Prozent der Verbrechen in diesem Land werden nicht bestraft." Mexiko wird durch gleichgültige, korrupte Politiker oder durch die Mafia regiert. Manchmal ist es dasselbe - wie in Iguala. "Was passiert in Mexiko, was geschieht mit uns, dass wir diese Barbarei ertragen müssen. Die Drogen haben das Land zu einem Land der Drogenpolitiker gemacht", sagt Martinez.
Acapulco im Würgegriff der Mafia
Nirgendwo ist der Verfall, der Würgegriff der Mafia, so deutlich zu sehen wie in Acapulco. Es liegt zwei Stunden von Iguala entfernt. Hierher kam einmal der internationale Jetset, Kreuzfahrtschiffe und Massentourismus. Jetzt haben 14.000 Touristen ihre Reisen für den kommenden Monat storniert, denn in Acapulco werden jeden Tag Menschen brutal ermordet
"Es gibt hier keinen sichern Platz mehr, es werden regelmäßig Menschen an der Strandpromenade hingerichtet", erzählt der Fotograf Bernadino. "Wenn es Kinder oder Schwangere sind, zieht sich mein Herz zusammen. Aber was kannst Du machen? Nichts." Die Geschäfte der Mafia sind Drogen, Menschenhandel, Schutzgelderpressung - es geht um Milliarden
Kinder werden zu brutalen Mördern
Wir fahren in einem sehr gefährlichen Stadtteil. Hier bleibt nur, wer nicht weg kann. Hier wurde ein Zweijähriger erschossen, in einem Auto zwei Menschen erschlagen - an fast jeder Ecke ein Mord. Wir wissen wir werden beobachtet. Die Späher, Falken genannt, sind nicht älter als 14 Jahre und genauso alt sind die Killer, die immer brutaler werden: "Manchmal ist er unter Drogen, sagte mir einer. So hat er Augen ausgestochen, die Haut abgezogen, Menschen bei lebendigem Leib zerstückelt ", berichtet Bernadino.
Vor dem Mord kommt die Folter, dieser Terror bringt die Menschen zum Schweigen. Wer spricht, der stirbt und mit ihm die Familie. Selbst ein hochrangiger Polizist will nur unerkannt mit uns sprechen: "Ich bin ehrlich, Acapulco ist in die Hände der Mafia gefallen. Es sind viele Interessen im Spiel, unglücklicherweise sind alle Ebenen der Sicherheit infiltriert - alle." Zwar habe der Staat Geld, doch es werde unter Politikern verteilt. Manchmal bekommen sie kein Gehalt, die Waffen können mit denen der Mafia nicht mithalten, nicht mal die Aufnäher an der Uniform werden bezahlt. Seit sechs Monaten streikt die Polizei in Acapulco. Wer schützt die Menschen? Im Hinterland bewaffen sich die Bürger bereits. Im Notfall wollen sie mit Gewalt ihren Frieden verteidigen.
Hoffen auf eine Lösung
"Ich glaube, die Lösung für Mexiko kommt nicht von der Regierung. Die Lösung kommt aus der Mitte der Gesellschaft. Sie wird von unten kommen", sagt die Journalistin Sanjuana Martinez. Marisa dagegen glaubt nicht an den großen Wandel. Sie glaubt, dass allein Gott am Ende für Gerechtigkeit sorgen wird.
Autorin: Xenia Böttcher, ARD-Studio Mexiko City
Stand: 05.01.2015 09:24 Uhr
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