So., 15.06.14 | 19:20 Uhr
Das Erste
Nigeria: Mit Messern und Macheten gegen islamische Terroristen
Sie herrschen über die Straßen von Maiduguri - mit Messern und Macheten. Die selbsternannte Bürgerwehr kämpft ihren persönlichen Kampf gegen die islamistische Terrorgruppe Boko Haram.
"Zivile Widerstandsbewegung" nennen sie sich. Einer ihrer Anführer ist der 21 Jahre alte Hamadi. Ganz Maiduguri haben Hamadi und seine Gefolgschaft in Zonen aufgeteilt.
"Endlich ist Ruhe eingekehrt"
Hamadi kommt aus armen Verhältnissen, so wie die meisten von ihnen. Er hat nur die Grundschule besucht. Einen Job hatte er noch nie. Doch das ist im Norden Nigerias normal. Jetzt aber werden sie respektiert. "Seit es die Bürgerwehr gibt, ist endlich Ruhe eingekehrt. Armee und Polizei haben das nicht geschafft. Durch die Bürgerwehr aber haben wir wieder Frieden in Maiduguri", sagt eine Autofahrer.
Gouverneur nutzt Bürgerwehr
Wie viel Ansehen, Einfluss und Macht die Bürgerwehr mittlerweile hat, erkennt auch die lokale Regierung. Gouverneur Kashim Settima hat außer seiner eigenen Eskorte neuerdings auch immer ein paar junge Männer von der Bürgerwehr dabei. "Das sind arbeitslose Jungs. Ihr Leben bekommt so einen Sinn, sie haben eine Mission. Das Ganze war eine spontane Reaktion aus der Bevölkerung. Und sie machen einen großartigen Job im Kampf gegen Boko Haram. Boko Haram hat mehr Angst vor ihnen als vor dem Militär", erklärt Settima. Dabei patrouillieren Tausende Soldaten aus ganz Nigeria quasi Tag und Nacht durch Maiduguri.
Boko Haran - von der Reformbewegung zur Terrorgruppe
In der Hauptstadt des Bundesstaates Borno wurde Boko Haram gegründet. Hier allein hatte die Terrororganisation einst sehr viel Anhänger. Warum? Wie können sich Menschen einer Gruppe anschließen, die brutal mordet und sogar auf Kinder losgeht?
Uns gelingt ein Treffen mit jemandem, der einmal Mitglied von Boko Haram war. Er möchte nicht erkannt werden. Als Aussteiger lebe man in ständiger Gefahr, gesteht er uns. "Ich habe mich Boko Haram wegen der Predigten angeschlossen, weil unsere Regierung schlecht ist und uns schlecht behandelt. Unsere Machthaber sprechen immer davon, dass sie sich um uns, um die Armen, kümmern werden.Doch das tun sie nicht. Sie werden immer nur selber reicher. Das brennt im Herzen. Wir haben uns gefragt: Wie können wir das ändern?"
Der Aussteiger berichtet: Anfangs ist Boko Haram so etwas wie eine Reformbewegung. Doch dann beginnt der Terror, das Leid. Seitdem habe die Gruppe kaum noch Unterstützung in der Bevölkerung.
Gewalt verängstigt Menschen
Wir fahren in eine einstige Hochburg der Terrorgruppe. Das Viertel ist rein muslimisch und eines der ärmsten in ganz Maiduguri. Hier sehe man, warum Boko Haram keine Anhänger mehr habe, sagt Gomi Alhaji. Der Journalist engagiert sich für die Opfer von Gewalt. Er führt uns in das Haus von Isa Abdallah. Vergangenes Jahr verübte Boko Haram direkt vor Isa Abdallahs Haustür einen Anschlag. Seine ganze Familie war im Haus. Ein Wunder, dass niemand starb. Ziel des Anschlags waren Soldaten, die hier patrouillierten. Sie wurden dabei getötet.
"Nur kurze Zeit nach dem Anschlag von Boko Haram ist die Armee gekommen und hat angefangen, Menschen zu erschießen. Sie haben gesagt, das seien alles Boko Haram-Mitglieder. Ob das alles stimmt? Ich weiß es nicht", sagt Isa Abdallah. Das ohnehin bescheidene Haus des alten Mannes ist zerstört. Und die kleine Rente, die er bekommt, reicht nicht, für ein neues Dach.
Fast jeder hier im Viertel berichtet nicht nur von den Verbrechen der Boko Haram, sondern auch von brutalen Racheakten des Militärs. Uns wird ein Video zugespielt, darauf sind offenbar Soldaten zu sehen, die Menschen ihr eigenes Grab schaufeln lassen. Die Herkunft des Videos ist unklar. Doch grundsätzlich bestätigen Menschenrechtsorganisationen Gräueltaten - auch der Armee.
Der vernachlässigte Norden
Deshalb haben sich Hamadi und seine Anhänger zu einer Bürgerwehr zusammengetan, erzählen sie mir. Wenn uns niemand vor den Angriffen beschützt, auch nicht das Militär, dann müssen wir eben selbst für Sicherheit sorgen, sagt Hamadi. Er brüstet sich damit, dass sie eine Bewegung seien, die sogar über religiöse Grenzen hinweggeht: "Bei uns findest Du Muslime und Christen. Wir arbeiten zusammen. Wenn Du gegen Boko Haram bist und Dich uns anschließt, gehörst Du zu uns. Egal ob Du Christ bist oder Muslim."
Hamadi prahlt: Er befehlige in seiner Zone 4.000 Kämpfer. Deshalb sei ihre Stadt jetzt frei von den Islamisten. Und das Netz der Bürgerwehren soll auf den ganzen Bundesstaat ausgeweitet werden.
Nigeria muss aufpassen, dass aus der zivilen Widerstandsbewegung kein neues Problem entsteht. Denn eine Perspektive haben Hamadi und seine Mitstreiter immer noch nicht - im von der Regierung vernachlässigten Norden.
Autorin: Shafagh Laghai, ARD-Studio Nairobi
Stand: 05.01.2015 09:28 Uhr
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