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Schweden: Samische Rentierzüchter - letzter Ausweg Selbstmord?

Schweden: Rentierzüchter - letzter Ausweg Selbstmord? | Bild: NDR
Rentiere
Rentiere sind die Lebensgrundlage für die Sami. | Bild: NDR

In diesen Wochen treiben die Rentierzüchter ihre Herden zusammen: zählen, markieren und die schlachtreifen Tiere einfangen. Für Piere Bergkvist und die anderen gehört die Rentierscheidung zu den Höhepunkten des Jahres. "Das hier ist mein Leben. Da wird einem richtig warm ums Herz."

"Wir kämpfen mit vielen Problemen"

Rentierzüchter Piere Bergkvist
Piere Bergkvist ist mit Leib und Seele Rentierzüchter.  | Bild: NDR

So gut wie alles in der samischen Kultur dreht sich um die Rentiere. Doch immer weniger Sami können von der Zucht leben. Deshalb glauben viele hier nicht mehr an eine Zukunft für ihre Traditionen. Auf Hilfe von der Regierung im fernen Stockholm warten die Sami meist vergeblich, das macht nicht nur Piere hilflos und wütend: "Wir kämpfen mit so vielen Problemen: wilde Tiere, die wir nicht jagen dürfen und dann überall die neuen Windparks."

Kein Platz für Rentiere

Es ist schwer zu glauben: In den Weiten Schwedens fehlt es inzwischen am Platz für die Rentiere. Jeder dritte Züchter hat in seiner Not schon über Selbstmord nachgedacht, heißt es in einer Studie. Woher kommt diese Verzweiflung? Margret Fjellströms Schwester hat sich das Leben genommen. Niemand - auch Margret nicht - ahnte, dass ihre Schwester keine Perspektive mehr für sich sah: "Es liegt auch an unserer Kultur. Es ist eine Kultur der Stille. Wir sprechen nicht darüber, wenn es uns schlecht geht.“

Sorgen treiben Sami in den Selbstmord

Margret Fjellström am Grab ihrer Schwester.
Margret Fjellström will Tabuthema Selbstmord unter den Sami öffentlich machen. | Bild: NDR / Clas Oliver Richter / Clas Oliver Richter

Regelmäßig besucht Margret das Grab. Die letzten Schritte sind für sie immer die schwersten. Weil sie nie weiß, wie nahe ihr das traurige Schicksal ihrer Schwester Karolina gehen wird: "Wenn ich ihre Handschrift auf dem Grabstein sehe, erinnere ich mich an die vielen Dinge, die wir zusammen erlebt haben. Ich will ihr alles erzählen, was inzwischen passiert ist."

Vor sieben Jahren hat sich Karolina mit 22 Jahren das Leben genommen. Margret hatte viel zu spät verstanden, wie sehr Karolina unter ihren Depressionen litt. Vielen Sami geht es so, vor allem den Rentierzüchtern. "Jedes Mal, wird die Wunde neu aufgerissen, wenn ich mitbekomme, dass sich noch ein Rentierzüchter umgebracht hat. Ich bin wütend und frustriert darüber, dass es wieder und wieder passieren muss", sagt Margret. 

"Die Ärzte dort verstehen uns Sami einfach nicht"

Wie viele es sind, weiß Margret nicht. Aber die Selbstmordrate unter Sami sei doppelt so hoch wie sonst in Schweden, sagt sie. Auch Piere Bergkvist war so verzweifelt, dass er keinen anderen Ausweg mehr sah. Alles ging damit los, dass er vor zwölf Jahren Schulden machen musste, um Futter für seine Rentiere zu kaufen. "Dann kamen die Luchse auf die Winterweiden. Jeden Tag habe ich Kadaver von gerissenen Rentieren gefunden. Für einen Züchter ist es entsetzlich, seine Tiere tot aufzufinden, die sind schließlich unser Leben", erzählt Bergkvist. Irgendwann reichte sein Einkommen nicht mehr. Piere wusste nicht mehr weiter. Als er sich mit seinem Jagdgewehr erschießen wollte, kam plötzlich sein Sohn ins Zimmer und Bergkvist schreckte zurück.

Im Gesundheitszentrum kann niemand helfen. "Die Ärzte dort verstehen uns Sami einfach nicht", weiß Piere inzwischen. "Als ich dem Arzt erzählt habe, dass es mir wirklich schlecht geht, ich mich umbringen wollte, da hat er mich nicht ernst genommen. Wenn es in einem Monat nicht besser wird, hat er gesagt, dann können Sie ja noch einmal wieder kommen.“ Schließlich findet Piere Bergkvist neuen Lebensmut - in einer samischen Spezialklinik in Norwegen.

Keine Rücksicht auf kulturelle Bedürfnisse

Petter Stoor
Petter Stoor erforscht die Selbstmorde unter den Sami | Bild: NDR

Schweden ist stolz darauf, dass alle Einwohner gleich behandelt werden. Kaum einer nimmt Rücksicht auf kulturelle Bedürfnisse einer Minderheit, beklagen viele. Petter Stoor erforscht die Selbstmorde unter den Sami. Niemand weiß so viel über ihre Sorgen und Ängste wie der Psychologe: "Rentierzüchter haben es wirklich schwer, denn es kann ja nicht sein, dass die Gesellschaft dir zwar das Leben ermöglicht, aber du bitteschön deine samische Identität aufgeben musst."

"Der Staat übt Druck auf uns aus"

Magret Fjellström hält Ihre Rentiere in diesen Wochen in einem Gehege, lässt sie nicht frei herumlaufen. Es sind zu viele Luchse in der Gegend. Sie muss zufüttern. Margret weiß nicht, ob sie für ihre Tiere einen guten Preis bekommen wird: "Der Staat übt Druck auf uns aus, das Geld ist knapp, unsere Art zu leben ist dabei, zu verschwinden. Dadurch verlieren wir die Freude am Leben.“

Margret erzählt, dass auch bei ihr vor kurzem eine Depression diagnostiziert wurde. Eine psychologische Behandlung hat ihr schwedischer Hausarzt aber erst einmal verschoben.

Autor: Clas Oliver Richter, ARD-Studio Stockholm

Stand: 05.01.2015 09:16 Uhr

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