So., 19.10.14 | 19:20 Uhr
Das Erste
Libanon/Türkei: Kunstraub für Kalaschnikows - Wie mit syrischen Antiken der Terror finanziert wird
Der Archäologe Cheikhmous Ali dokumentiert, wie Kulturschätze seiner Heimat Syrien zerstört werden. Die Beweise liefern ihm Freiwillige aus Syrien, die trotz Gefechten Videos drehen und Fotos machen. Leute wie Ismail aus Aleppo. Beim ersten Versuch, die Grenze zu überqueren, wurde er erwischt und zurückgeschickt. Wir treffen ihn in der türkische Stadt Gaziantep.
"Die verdienen Millionen"
"Ich habe die Leute gesehen, bewaffnete Milizionäre. Sie haben elektrische Geräte und suchen nach Antiken in der Altstadt von Aleppo. Dann verkaufen sie sie in die Türkei. Die verdienen viel Geld, Millionen!", erzählt er. Ismail hat selbstgedrehte Videos aus Aleppo mitgebracht. Eines zeigt die Zitadelle von Aleppo - zerrieben zwischen Regierungsarmee und bewaffneter Opposition.
Cheikhmous Ali betrachtet diese Videos wichtige historische Zeugnisse. "Unser ganzes Land wird verkauft - sogar die Menschen sind wie eine Ware auf internationalen Verhandlungen. In unseren Städten toben Stellvertreterkriege der Regionalmächte. Aber die Antiken sind ein Opfer, das niemand verteidigt."
Schmuggel an der Grenze floriert
Unter den Mauern Aleppos liegt die Menschheitsgeschichte in Stein - nun wird sie ausgegraben und verscherbelt. Die Antiken aus dem Land zu schaffen, ist nicht schwierig. Der Schmuggel an der türkisch-syrischen Grenze floriert. Islamistische Milizen bringen Antiken raus, kaufen Waffen und schmuggeln diese wieder rein. Einige Grenzpolizisten drücken ein Auge zu, oder verdienen sogar mit. 900 Kilometer Grenze liegen zwischen der Türkei und Syrien - kaum kontrollierbar. Dies gilt auch für die Grenze zum Libanon. Ein riesiges Bergmassiv trennt die Länder und mitten hindurch suchen sich die Schmuggler ihre Schleichwege.
Ware aus dem Hinterzimmer
Seit in Syrien Krieg herrscht, hat der Schmuggel von Kulturschätzen in den Libanon dramatisch zugenommen. Die Antiquitätenhändler stellen allerdings keine wirklich alten Stücke ins Schaufenster, denn der Handel mit Antiken steht seit Ende der 80er-Jahre unter Strafe. Die Ladenbesitzer reagieren abweisend oder aggressiv - besonders auf die Frage nach Antiken aus Syrien.
Wir geben uns als Touristen aus und drehen versteckt. Ein Händler holt schließlich eine kleine Plastiktüte aus dem Hinterzimmer mit Stücken aus der Römerzeit und älter.
Gegenstände im Wert von etlichen Millionen beschlagnahmt
Wenn es der Polizei gelingt, Schmuggelware zu konfiszieren, landet die in der libanesischen Antikendirektion. Deren Leiter, Dr. Assaad Seif, prüft die Stücke auf ihre Echtheit und nimmt gegebenenfalls über Interpol Kontakt auf mit den syrischen Behörden.
82 Steinobjekte fand die Polizei im vergangenen Jahr im Hinterzimmer eines Ladens. Sie wurden inzwischen nach Damaskus zurückgeschickt - statt in den Auktionshäusern Europas zu landen. "Der Verkäufer hat für alle Objekte zusammen rund zwei Millionen Dollar gefordert", erzählt Dr. Assaad Seif.
Die Libanesen haben bislang Ware für etliche Millionen Dollar beschlagnahmt. Vermutlich ist ähnlich viel an ihnen vorbeigegangen und hat Geld gebracht für neue Waffen, die noch mehr Tod und Zerstörung bringen.
"Ein Mensch ohne Geschichte hat auch keine Zukunft",
"Wo kein Kunde ist, ist auch kein Markt - keine Ware. Die Verantwortung liegt auf beiden Seiten, denke ich. Es geht hier um das kulturelle Erbe eines Landes. Ich weiß, viele finden die Objekte schön, sie haben einen ästhetischen Wert für sie, aber der kulturelle und der menschliche Wert ist weit höher, als der ästhetische oder der Marktwert", sagt Dr. Assaad Seif.
Die Antikendiebe zerstören jahrzehntelange wissenschaftliche Arbeit, auf der Suche nach dem schnellen Geschäft. Viele antike Stätten liegen inzwischen in Gebieten, die der sogenannte Islamische Staat (IS) kontrolliert. Dort traut sich niemand mehr zu fotografieren. "Die Milizen, die sich für Antiken interessieren, sind die Islamisten. Die sogenannten Emire des IS, suchen in ihren Gebieten gezielt nach Altertümern.
Denn wer in Syrien eine Region oder eine Stadt beherrscht, ist sowas wie ein König, niemand zieht ihn zur Verantwortung", sagt Samir, der zusammen mit Marwan, ebenfalls aus Aleppo über die türkische Grenze gekommen ist. "In der syrischen Krise werden die Opfer gezählt, die vielen Menschen, die sterben. Aber es gibt auch eine unbekannte Seite, und das ist die Kultur, die verlorengeht", ergänzt Marwan.
"Ein Mensch ohne Geschichte hat auch keine Zukunft", sagt Cheikhmous Ali. Für ihn geht es um die Existenz Syriens.
Autorin: Esther Saoub, ARD-Studio Kairo
Stand: 06.08.2015 14:11 Uhr
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